Über Klimawandel nachdenken: Unterschied zwischen den Versionen

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Klimaethik stellt in besonderem Maße „die grundsätzliche Frage der Reichweite individueller und kollektiver moralischer Verpflichtungen in räumlicher und zeitlicher Hinsicht“.<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Birnbacher, Dieter |Titel=Klimaethik. Nach uns die Sintflut? |Ort=Stuttgart |Verlag=Reclam |Jahr=2016 |Seite=8 }}</ref> Die ethischen und moralischen Dimensionen der Klimakrise müssen also u. a. berücksichtigen, dass die Zusammenhänge von Verursachung und Auswirkung räumlich und zeitlich verschwimmen und auch, dass ein besonderes Zusammenspiel von individueller Verantwortung und kollektiver Verursachung vorliegt: Einerseits, da die lichtfertige Übernahme eines kollektiven Schuldbewusstseins oft die tatsächlichen Verursachungen verschleiert.<ref>Vgl. hierzu auch {{Quellen-Literatur|Autor*in=Agamben, Giorgio |Titel=Was von Auschwitz bleibt
 
Klimaethik stellt in besonderem Maße „die grundsätzliche Frage der Reichweite individueller und kollektiver moralischer Verpflichtungen in räumlicher und zeitlicher Hinsicht“.<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Birnbacher, Dieter |Titel=Klimaethik. Nach uns die Sintflut? |Ort=Stuttgart |Verlag=Reclam |Jahr=2016 |Seite=8 }}</ref> Die ethischen und moralischen Dimensionen der Klimakrise müssen also u. a. berücksichtigen, dass die Zusammenhänge von Verursachung und Auswirkung räumlich und zeitlich verschwimmen und auch, dass ein besonderes Zusammenspiel von individueller Verantwortung und kollektiver Verursachung vorliegt: Einerseits, da die lichtfertige Übernahme eines kollektiven Schuldbewusstseins oft die tatsächlichen Verursachungen verschleiert.<ref>Vgl. hierzu auch {{Quellen-Literatur|Autor*in=Agamben, Giorgio |Titel=Was von Auschwitz bleibt
 
Das Archiv und der Zeuge |Ort=Frankfurt a. M. |Verlag=Suhrkamp |Jahr=2003 |Seite=82 }}</ref> Andererseits, dass ein Zurückweisen der Teilhabe an einer kollektiven Verursachung ob der eigenen Handlungen, dennoch die Überlegung zulässt, ob eine „Kollektivhaftung im politischen Bereich“<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Arendt, Hannah |Titel= Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen |Ort=München |Verlag=Piper |Jahr=1964 |Seite=25 }}</ref> auch unabhängig der individuellen Taten besteht.
 
Das Archiv und der Zeuge |Ort=Frankfurt a. M. |Verlag=Suhrkamp |Jahr=2003 |Seite=82 }}</ref> Andererseits, dass ein Zurückweisen der Teilhabe an einer kollektiven Verursachung ob der eigenen Handlungen, dennoch die Überlegung zulässt, ob eine „Kollektivhaftung im politischen Bereich“<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Arendt, Hannah |Titel= Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen |Ort=München |Verlag=Piper |Jahr=1964 |Seite=25 }}</ref> auch unabhängig der individuellen Taten besteht.
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Ideengeschichtlich ist dieses Verhältnis spätestens seit Aristoteles dadurch geprägt, dass sich Menschen „mehr und mehr aus der Natur heraus [denken]“. Selbst wenn wir Naturschutz betreiben und uns somit um „die Natur“ sorgen, setzen wir bestimmte Verhältnissetzungen voraus. Dabei spielen sowohl unsere Modi der Erfahrung von Natur – leiblich, ästhetisch, experimentell, narrativ usw. – als auch unsere Modi ihrer Repräsentation – Wildnis, Landschaft, Schöpfung, Gefahr usw. – eine gewichtige Rolle. Es stellt sich zudem die Frage, ob diese Verhältnissetzungen neu gedacht werden müssen, wenn aufgrund der Klimakrise die Natur als existentialistische Voraussetzung all unserer Mühen selbst nicht mehr gewiss ist. Bleibt die Natur somit weiterhin ein Problem, wie Hegel konstatierte?
 
=== Wissen in der Klimakrise ===
 
=== Wissen in der Klimakrise ===
 
Unser [[Wissen in der Klimakrise]] soll im besten Fall handlungsorientierende Grundlage politischer, gesellschaftlicher, ökonomischer oder ölkologischer Entscheidungen sein. Gerade weil das Berufen auf [[Tatsachen|Fakten]] „zwar intuitiv überzeugen [mag, ist es] umso mühevoller [...], sich bewusst zu machen, dass Fakten nur unter je eigenen Voraussetzungen als solche auftreten.“<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Hornuff, Daniel |Titel=Wissenschaft im postfaktischen Zeitalter. Sieben Thesen |Zeitschrift=ZiF-Mitteilungen |Band=22 |Nummer=3 |Jahr=2017 |Seite=68 | Online=https://www.uni-bielefeld.de/ZIF/Publikationen/Mitteilungen/Ausgaben/2017-3.pdf |Abruf=18.03.2021 }}</ref> Diese Mühe, zentrale Aspekte von Wissen zu hinterfragen, soll zur Reflexion des Wissens in der Krise – im doppelten Sinne als Krisenwissen und Wissenskrise – befähigen.
 
Unser [[Wissen in der Klimakrise]] soll im besten Fall handlungsorientierende Grundlage politischer, gesellschaftlicher, ökonomischer oder ölkologischer Entscheidungen sein. Gerade weil das Berufen auf [[Tatsachen|Fakten]] „zwar intuitiv überzeugen [mag, ist es] umso mühevoller [...], sich bewusst zu machen, dass Fakten nur unter je eigenen Voraussetzungen als solche auftreten.“<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Hornuff, Daniel |Titel=Wissenschaft im postfaktischen Zeitalter. Sieben Thesen |Zeitschrift=ZiF-Mitteilungen |Band=22 |Nummer=3 |Jahr=2017 |Seite=68 | Online=https://www.uni-bielefeld.de/ZIF/Publikationen/Mitteilungen/Ausgaben/2017-3.pdf |Abruf=18.03.2021 }}</ref> Diese Mühe, zentrale Aspekte von Wissen zu hinterfragen, soll zur Reflexion des Wissens in der Krise – im doppelten Sinne als Krisenwissen und Wissenskrise – befähigen.

Version vom 4. Oktober 2021, 15:36 Uhr

Über Klimawandel nachdenken

Über Klimawandel nachdenken ist eine der drei zentralen Perspektiven, die im Rahmen von Climate Thinking eingenommen werden.

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Die Verflechtungen zwischen ökologischen, gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen, technischen und wissenschaftlichen Aspekten des Klimawandels stellen die klassische Natur-Kultur-Trennung unter enormen Druck. So muss die tatsachenbasierte Forderung des 1,5-Grad-Klimaziels zu einer Frage nach menschlichen Selbstverständnissen, Naturverhältnissen, Gesellschaftsentwürfen, Diskursmöglichkeiten, Orientierungskonzepten und Technikhoffnungen werden. Bedarf diese neue Frage auch neuer Narrative (siehe: Vom Klimawandel erzählen), die sich jenseits positivistischer Selbstevidenz bewegen, um uns aus dem „planetarischen Schlamassel“[1] zu befreien? Was würde sich an unserem Denken ändern, wenn wir unseren Planeten zwar weiterhin als existenzielle Voraussetzung all unserer Überlegungen und Handlungen begreifen, aber gleichzeitig narrativ berücksichtigen, dass diese Voraussetzung kein überzeitlich Gegebenes mehr ist, sondern zur Disposition steht? In dem Eingangszitat formuliert die Philosophin Rosi Braidotti ihre Forderung nach neuen Ansätzen, Theorien und Methoden eben vor diesem Hintergrund der auf uns zukommenden Welt.[2] Der Wissenschaftsforscher Bruno Latour schlug entsprechend als zentrale Fragen unserer Zeit vor: „Woran hängen Sie am meisten? Mit wem können Sie leben? Wessen Überleben hängt von Ihnen ab? Gegen wen werden Sie kämpfen müssen? Wie lässt sich all das in eine Reihenfolge der Prioritäten bringen?“[3] Taugen diese Fragen dazu, einen neuen Diskussionsrahmen abzustecken (siehe: Über Klimawandel sprechen), der die komplexe Verwobenheit umfänglicher erfassen kann?

Zentrale Perspektiven und Zugänge

Klimaethik

Klimaethik stellt in besonderem Maße „die grundsätzliche Frage der Reichweite individueller und kollektiver moralischer Verpflichtungen in räumlicher und zeitlicher Hinsicht“.[4] Die ethischen und moralischen Dimensionen der Klimakrise müssen also u. a. berücksichtigen, dass die Zusammenhänge von Verursachung und Auswirkung räumlich und zeitlich verschwimmen und auch, dass ein besonderes Zusammenspiel von individueller Verantwortung und kollektiver Verursachung vorliegt: Einerseits, da die lichtfertige Übernahme eines kollektiven Schuldbewusstseins oft die tatsächlichen Verursachungen verschleiert.[5] Andererseits, dass ein Zurückweisen der Teilhabe an einer kollektiven Verursachung ob der eigenen Handlungen, dennoch die Überlegung zulässt, ob eine „Kollektivhaftung im politischen Bereich“[6] auch unabhängig der individuellen Taten besteht.

Mensch-Natur-Verhältnisse

Ideengeschichtlich ist dieses Verhältnis spätestens seit Aristoteles dadurch geprägt, dass sich Menschen „mehr und mehr aus der Natur heraus [denken]“. Selbst wenn wir Naturschutz betreiben und uns somit um „die Natur“ sorgen, setzen wir bestimmte Verhältnissetzungen voraus. Dabei spielen sowohl unsere Modi der Erfahrung von Natur – leiblich, ästhetisch, experimentell, narrativ usw. – als auch unsere Modi ihrer Repräsentation – Wildnis, Landschaft, Schöpfung, Gefahr usw. – eine gewichtige Rolle. Es stellt sich zudem die Frage, ob diese Verhältnissetzungen neu gedacht werden müssen, wenn aufgrund der Klimakrise die Natur als existentialistische Voraussetzung all unserer Mühen selbst nicht mehr gewiss ist. Bleibt die Natur somit weiterhin ein Problem, wie Hegel konstatierte?

Wissen in der Klimakrise

Unser Wissen in der Klimakrise soll im besten Fall handlungsorientierende Grundlage politischer, gesellschaftlicher, ökonomischer oder ölkologischer Entscheidungen sein. Gerade weil das Berufen auf Fakten „zwar intuitiv überzeugen [mag, ist es] umso mühevoller [...], sich bewusst zu machen, dass Fakten nur unter je eigenen Voraussetzungen als solche auftreten.“[7] Diese Mühe, zentrale Aspekte von Wissen zu hinterfragen, soll zur Reflexion des Wissens in der Krise – im doppelten Sinne als Krisenwissen und Wissenskrise – befähigen.

Belege

  1. Gemeint ist folgendes Zitat: „Our belief that science alone could deliver us from the planetray quagmire is long dead“. Sörlin, Sverker (2012): Environmental Humanities. Why Should Biologists Interested in the Environment Take the Humanities Seriously?. In: BioScience 62(9), S. 788–789, hier S. 788.
  2. Braidotti, Rosi; Regan, Lisa (2017): Our Times Are Always Out of Joint: Feminist Relational Ethics in and of the World Today: An Interview with Rosi Braidotti. In: Women: ACultural Review 28(3), S. 171–192, hier S. 180. Online, zuletzt abgerufen am 17.04.2021.
  3. Latour, Bruno (2018): Das terrestrische Manifest. Berlin: Suhrkamp, S. 111.
  4. Birnbacher, Dieter (2016): Klimaethik. Nach uns die Sintflut?. Stuttgart: Reclam, S. 8.
  5. Vgl. hierzu auch Agamben, Giorgio (2003): Was von Auschwitz bleibt Das Archiv und der Zeuge. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 82.
  6. Arendt, Hannah (1964): Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. München: Piper, S. 25.
  7. Hornuff, Daniel (2017): Wissenschaft im postfaktischen Zeitalter. Sieben Thesen. In: ZiF-Mitteilungen 22(3), S. 68. Online, zuletzt abgerufen am 18.03.2021.