Tatsache (wissenschaftssoziologisch): Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 4. Februar 2021, 10:16 Uhr

Teil der Reihe
Wissen
über den Klimawandel
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Tatsache
Tatsache (Alltag)
Tatsache (Alternative)
Tatsache (Bruno Latour)
Tatsache (Ludwik Fleck)
Tatsache (John Searle)
Objektivität

Der Soziologe, Philosoph und Wissenschaftsforscher Bruno Latour bestimmt seinen Tatsachenbegriff zwischen den beiden Polen Realismus und Konstruktivismus. Seine Überlegungen lassen sich im Kontext von Climate Thinking für das Nachdenken über den Klimawandel fruchtbar machen, indem sie es erlauben, unser Wissen vom Klimawandel zu reflektieren.

Tatsachen zwischen Realismus und Konstruktivismus

Im Kontrast zum Gebrauch des Begriffs der „Tatsache“ in der Alltagssprache, fasst Latour eine Tatsache nicht als etwas, „das schon in der Welt vorhanden ist, sondern als eher spätes Resultat eines langen verhandlungs- und Institutionalisierungsprozesses.“[1] Diese Auffassung ähnelt dem wissenschaftstheoretischen Konzept von Ludwik Fleck, der der alltagsnahen Rede von der „Entdeckung von Tatsachen“ die Formulierung "Entstehung und Entwicklung einer Tatsache" entgegenstellt.[2]

Von Dinosauriern und anderen dynamischen Prozessen

Scientosaurus oder Popsaurus? Denver Museum of Science and Nature, 2008.

In seinem 1996 erstmals auf deutsch veröffentlichten Aufsatz „Drei kleine Dinosaurier oder: Der Alptraum eines Soziologen“[3] beschreibt Latour die Beziehung zwischen den natürlichen Phänomenen in der Welt, deren wissenschaftliche Beschreibung und dem sich im Alltag verfestigten Wissen von diesen Phänomenen. Latour nutzt hierfür eine Allegorie, in der er die sich wandelnde Befundlage in der Paläontologie anhand dreier „Dinosaurier“ darstellt: „Realosaurus“, als Repräsentant der vor über 65. Mio. Jahren ausgestorbenen Tiere, „Scientosaurus“, als das wissenschaftlich gewonnene Tatsachenwissen über Dinosaurier basierend etwa auf Knochenfunden, und „Popsaurus“ als das alltägliche Wissen über Dinosaurier, welches vornehmlich aus der Populärkultur stamme. In seiner Betrachtung strapaziert Latour die intuitive Vorstellung, dass Realosaurus zu Scientosaurus in einer Urbild-Abbild-Beziehung steht, dass also das natürliche Phänomen in der Welt von der Wissenschaft beschrieben und dargestellt wird. Latour kehrt dieses intuitive Verhältnis um, indem er Scientosaurus als Urbild des Realosaurus beschreibt. Die Idee hinter dieser kontraintuitiven Verhältnissetzung ist wissenschaftshistorisch begründet, insofern die je aktuellen, sich ändernden wissenschaftlichen Befunde der Forschung als unser Bild der natürlichen Phänomene (Scientosaurus), die natürlichen Phänomene selbst (Realosaurs) nachträglich und rückwirkend formen. Banal ausgedrückt lässt sich sagen, dass aufgrund je aktueller Kenntnisse die real existierenden Dinosaurier plötzlich schon immer agile Jäger waren oder plötzlich schon immer ein Federkleid trugen etc. Was hieran kontraintuitiv scheint, begründe sich in einer unscharfen Bezugnahme auf zwei verschiedene Blickrichtungen, welche fälschlicherweise gleichzeitig eingenommen würden: „Science in the Making” und „Ready Made Science“. Im Rückblick erschienen frühe Forschungsergebnisse als stabil, geradlinig und gewiss, während aus Sicht der sich erst vollziehenden Forschung Ungewissheit, Menschen bei der Arbeit, Entscheidungen, Wettbewerb und Kontroversen zeigten.[4]

Durch das Einführen des Popsaurus wird die Beziehung zwischen Realosaurus und Scientosaurus weiter verkompliziert, da Popsaurus nicht nur das beharrliche Alltagswissen über Dinosaurier charakterisiert, wie es aus „Science-Fiction-Romanen [...] als auch auf den Rundfahrten in Disneyland"[5] gewonnen wird. Wissen dieser Art über mythische Figuren wie Drachen und Lindwürmern wiederum prägte, so vermutet Latour, bereits die Vorstellung von Naturforschern wie Richard Owen und Gideon Mantell, als diese anhand einzelner Knochenfunde phantastische Tierwesen rekonstruierten.

Latours Tatsachenbegriff in der Debatte um den Klimawandel

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Siehe auch

  • Bla
  • Blub

Belege

  1. Latour, Bruno (2000): Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 381.
  2. Fleck, Ludwik (1980): Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsaceh. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
  3. Latour, Bruno (2014): Drei kleine Dinosaurier oder: Der Alptraum eines Soziologen. In: Latour, Bruno (Hrsg.): Der Berliner Schlüssel. Erkundungen eines Liebhabers der Wissenschaften, Berlin: Botopress, S. 145-156.
  4. Latour, Bruno (1987): Science in Action. How to Follow Scientists and Engeneers through Society. Cambridge (Mass.): Harvard University Press, S. 12.
  5. Latour, Bruno (2014): Drei kleine Dinosaurier oder: Der Alptraum eines Soziologen. In: Latour, Bruno (Hrsg.): Der Berliner Schlüssel. Erkundungen eines Liebhabers der Wissenschaften, Berlin: Botopress, S. 145-156, hier S. 145.