Berichterstattung über die Waldbrände in Kalifornien 2020: Unterschied zwischen den Versionen

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Das theoretische Fundament für die Analyse bildet die Position des Sprachphilosophen [[John Searle]]. Diese sieht eine Unterscheidung zwischen [[Tatsachen (sprachphilosophisch)|rohen und institutionellen Tatsachen]] vor, mit denen sich eben jene soziale Wirklichkeit beschreiben lässt, in die auch der gesellschaftliche Umgang mit dem Klimawandel und damit die Berichterstattung von Spiegel und taz eingebettet ist.
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Das theoretische Fundament für die Analyse bildet die Position des Sprachphilosophen [[John Searle]]. Diese sieht eine Unterscheidung zwischen [[Tatsache (sprachphilosophisch)|rohen und institutionellen Tatsachen]] vor, mit denen sich eben jene soziale Wirklichkeit beschreiben lässt, in die auch der gesellschaftliche Umgang mit dem Klimawandel und damit die Berichterstattung von Spiegel und taz eingebettet ist.
  
 
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Version vom 28. Februar 2022, 13:31 Uhr

Rauch über San Francisco

In diesem Artikel wird die Berichterstattung über die Waldbrände in Kalifornien 2020 und ihre Verbindung zur öffentlichen Wahrnehmung des Themenkomplexes Klimawandel behandelt. Aufgrund ihres ungewöhnlich großen Ausmaßes werden sie wiederholt als Symptom des Klimawandels gelesen. Die Waldbrände erreichen große mediale Aufmerksamkeit und werden so zu einem wichtigen Ereignis im Klimawandeldiskurs im Jahr 2020. Unter anderem wurde von den Online-Ablegern der Presseorgane Der Spiegel und die tageszeitung (taz) über die Waldbrände berichtet. Die Analyse betrachtet den Zeitraum vom 15.09.2020 bis zum 18.09.2020. Neben den Waldbränden in Kalifornien stand zu dieser Zeit auch das Klimaziel der Europäischen Union im Fokus der medialen Aufmerksamkeit.

Pressetextanalysen

Methode

Für die Analyse der Pressetexte wurde das Textsemantische Analyseraster (TextSem) von Andreas Gardt herangezogen. Es handelt sich dabei um eine Zusammenführung verschiedener Aspekte, die sich auf die Bedeutungskonstitution von Texten auswirken. Diese lassen sich in drei Bereiche einordnen: den kommunikativ-pragmatischen Rahmen, die textuelle Makrostruktur und die textuelle Mikrostruktur.[1]

Theoretische Grundlage

Das theoretische Fundament für die Analyse bildet die Position des Sprachphilosophen John Searle. Diese sieht eine Unterscheidung zwischen rohen und institutionellen Tatsachen vor, mit denen sich eben jene soziale Wirklichkeit beschreiben lässt, in die auch der gesellschaftliche Umgang mit dem Klimawandel und damit die Berichterstattung von Spiegel und taz eingebettet ist.

Textkorpus

Für die Analyse der Berichterstattung über den Klimawandel von Spiegel und taz wurden 18 bzw. 14 Artikel analysiert, von denen sich 6 bzw. 3 explizit auf die Waldbrände in Kalifornien beziehen. Die Artikel sind über die jeweiligen Online-Archive frei zugänglich und im Zeitraum vom 15.09.2020 bis 18.09.2020 erschienen. Die Artikel des Spiegels verteilen sich auf fünf verschiedene Ressorts: „Kultur“ (2), „Panorama“ (1), „Politik“ (7), „Wirtschaft“ (1) und „Wissenschaft“ (7). Die Artikel der taz verteilen sich auf die Ressorts “Öko” (10), “Politik” (3) und “Nord” (1).

Analyseergebnisse

spiegel.de

Die Berichterstattung des Spiegels zu den Waldbränden in Kalifornien, aber auch zum Klimawandel allgemein, zeichnet sich durch eine Kombination mehrerer Aspekte aus. Zunächst liegt dem Spiegel daran, möglichst zeitnah über ein bestimmtes Ereignis zu berichten, welches mit dem Klimawandel zusammenhängt. Das Ereignis wird im Rahmen einer Informationsverdichtung zunehmend multiperspektiviert und multilokalisiert. So kommen Vertreter*innen unterschiedlicher gesellschaftlicher Bereiche zu Wort, während gleichzeitig auch verschiedene gesellschaftliche Ebenen wie Wirtschaft und Politik berücksichtigt werden. Die Multilokalisierung äußert sich unter anderem auch durch die breite Ressort-Verteilung der Artikel, die für die Analyse herangezogen wurden. Die mit einem Ereignis zusammenhängenden institutionellen Gegebenheiten rücken durch die Hervorhebung einzelner Personen meist in den Hintergrund. Beispielsweise wird der damalige US-Präsident Donald Trump in zwei Beiträgen hervorgehoben.[2][3] Politische Institutionen werden aus einer induktiven Perspektive dargestellt, sodass einzelne Personen als Handlungsträger*innen hervorgehoben werden. Diese Hervorhebung insbesondere im politischen Kontext lässt das Narrativ entstehen, die Geschicke der Welt in Bezug auf den Klimawandel lägen in den Händen (politisch mächtiger) Einzelner. Die mikroanalytische Betrachtung der Texte des Spiegels legt diesbezüglich wiederum deduktive Perspektivierungen offen, bei denen von einem größeren Kontext ausgehend eine immer kleinere Ebene betrachtet wird. Sowohl das induktive als auch das deduktive Vorgehen sind in der Darstellung als „Komplexitätsreduktion“ zusammengefasst. Multiperspektivierung und Multilokalisierung sind unter dem Begriff „Multiplikation” zusammengefasst:

Das Berichterstattungsprofil von spiegel.de
Zieht man nun Searles Terminologie von rohen und institutionellen Tatsachen heran, so lässt sich beobachten, dass der Spiegel nach und nach ein Argumentationsschema errichtet, welches zunächst von rohen Tatsachen wie den Waldbränden ausgeht. Die Veränderung oder zukünftige Verhinderung dieser rohen Tatsachen erfordert institutionelle Tatsachen wie beispielsweise die politische Anordnung einer Umstellung auf erneuerbare Energien. Diese werden in Form von Zitaten entweder durch eine Handlungsempfehlung von Expert*innen oder anderen Politiker*innen gefordert oder von der verantwortlichen Politik selbst initiiert. Die Handlungsempfehlung ergibt sich dabei aus der zunehmenden Verdichtung durch eine zeitnahe, multiperspektivische, multilokale und komplexitätsreduzierende Berichterstattung.

„Die Mächtigen der Welt müssen nicht in Panik verfallen, nur mit kühlem Kopf das Richtige tun. So zynisch das klingt, vielleicht kann diese Katastrophe dabei helfen.“[4]

Ob die Handlungsempfehlung jedoch tatsächlich zu neuen oder veränderten rohen Tatsachen führt, bleibt offen. Diese auch teils mit Spekulationen durchzogene Art der Berichterstattung ermöglicht es dem Spiegel immer wieder offene Enden zu kreieren und in anderen Artikeln daran anzuknüpfen. Die Anknüpfbarkeit der Berichterstattung des Spiegels lässt sich folgendermaßen illustrieren:

Rekursivität der Berichterstattung von spiegel.de

taz.de

Der Klimawandel und damit auch die Waldbrände in Kalifornien werden in der taz als Thema stark emotionalisiert. Die taz berichtet nicht nur über den Klimawandel, sondern setzt sich auch aktiv in ihrer Rolle als Massenmediumim mit dem Klimawandeldiskurs auseinander. Dabei erkennt sie auch das konstruktivistische Potential dieses Diskurses. In diesem Zusammenhang setzt sie sich für eine sprachlich klimagerechte Berichterstattung ein.[5] Daneben bietet sie Klimaaktivist*innen, Klimaforscher*innen und auch Politiker*innen (des links-grünen Parteienspektrums) eine Plattform für ihre Perspektiven zum Klimawandel.[6] Statt in Bezug auf den Klimawandel lediglich zu beschreiben oder auch Handlungsempfehlungen auszusprechen, sieht sich die taz auch selbst in der Pflicht zu handeln. Das Wertekonzept der Klimagerechtigkeit stellt damit ein zentrales Anliegen der taz dar. Die abgebildete Darstellung des Berichterstattungsprofils der taz verdeutlicht den Weg zu diesem Ziel:

Das Berichterstattungsprofil von taz.de
In Bezug auf Searles Tatsachenunterscheidung zeigt die Analyse, dass die taz in ihrer Berichterstattung zu großen Teilen institutionelle Tatsachen aufgreift bzw. Themen auf einer institutionellen Ebene betrachtet. Das Einbeziehen des Klimaaktivismus dient der taz dabei als vermittelndes Element zwischen der Klimawissenschaft und der Politik und damit auch zwischen der Klimawissenschaft und der Gesellschaft. Die Klimawissenschaft warnt die Gesellschaft, deren Teil Politik und Klimaaktivismus sind. Die Warnung wird vor allem vom Klimaaktivismus aufgenommen, der daraufhin klimapolitische Vorgänge kritisiert, neue klimapolitische Maßnahmen fordert und sich darum bemüht, weitere Teile der Gesellschaft aufzuklären. Besonders ist dies der Fall, wenn es zu einem Ereignis kommt, das mit dem Klimawandel in Zusammenhang steht (wie eben z. B. die Waldbrände in Kalifornien) oder neue Klimaschutzmaßnahmen beschlossen werden.

„Da helfen am Ende keine Bilder, da hilft wohl nur beharrliche Aufklärung. ‘United behind the Science’ – höchste Zeit, dass die Fridays-for-Future-Kids wieder aus dem Lockdown kommen und den kindischen Wunderglauben der Alten unter Feuer nehmen.“[7]

Im Idealfall sollen die Aufklärung sowie die neu formulierten Klimaschutzmaßnahmen letztlich zu einer klimagerechten Gesellschaft führen. Werden die Klimaschutzmaßnahmen jedoch in ihrem Status Quo belassen und gelingt die Aufklärung über Klimaereignisse nicht, führt dies zu keiner Veränderung; und es bleibt bei einer Gesellschaft, die die Ursachen des menschengemachten Klimawandels reproduziert.

Fazit

Die Analysen der Berichterstattung des Spiegels und der taz zeigen, dass sich durchaus unterschiedliche Perspektiven auf den Klimawandel und mit ihm in Verbindung stehende Ereignisse ergeben können. Grundsätzlich festhalten lässt sich dabei allerdings, dass beide Nachrichtenmedien das Problem ‚Klimawandel‘ für lösbar halten – sie präsentieren dafür jedoch unterschiedliche Ansätze. Der Spiegel nimmt vor allem die Politik in den Blick und weist ihr eine zentrale Rolle in Bezug auf den Klimawandel zu. Ihr gegenüber werden Handlungsempfehlungen von verschiedenen gesellschaftlichen Vertreter*innen ausgesprochen. Die taz nimmt hingegen die Gesellschaft als Ganze in den Blick. Sie analysiert den Umgang der Gesellschaft mit dem Klimawandel und hebt dabei besonders den Klimaaktivismus hervor, der die Gesellschaft bezüglich eines klimagerechten Verhaltens aufklären soll. In Bezug auf John Searles Unterscheidung von rohen und institutionellen Tatsachen lassen sich ebenfalls unterschiedliche Schwerpunkte in der Berichterstattung der beiden Nachrichtenmedien feststellen. Der Spiegel bewegt sich bei der Berichterstattung tendenziell zwischen rohen und institutionellen Tatsachen. Die taz legt einen starken Fokus auf institutionelle Tatsachen. Zwar geht auch sie auf rohe Tatsachen ein, doch stellen diese nur einen Ausgangspunkt für eine analytische Betrachtung der institutionellen Realität um sie herum dar.

Belege

  1. Gardt, Andreas (2012): Textsemantik. Methoden der Bedeutungserschließung. In: Jochen A. Bär & Marcus Müller (Hrsg.): Geschichte der Sprache, Sprache der Geschichte: Probleme und Perspektiven der historischen Sprachwissenschaft des Deutschen. Oskar Reichmann zum 75. Geburtstag. Berlin: Akademie, 61-82.
  2. Stukenberg, Kurt (2020): Die Katastrophe ist da…. In: Der Spiegel. Online, zuletzt abgerufen am 26.03.2021.
  3. Pitzke, Marc (2020): Die Ignoranz. In: Der Spiegel. Online, zuletzt abgerufen am 26.03.2021.
  4. Pitzke, Marc (2020): Die Ignoranz. In: Der Spiegel. Online, zuletzt abgerufen am 26.03.2021.
  5. Schöneberg, Kai; Schäfer Torsten (2020): Besser übers Klima schreiben. In: taz. Online, zuletzt abgerufen am 26.03.2021.
  6. n/a (2020): Klimagerechtigkeit. In: taz. Online, zuletzt abgerufen am 26.03.2021.
  7. Werning, Heiko (2020): Alle mal wegschauen. In: taz. Online, zuletzt abgerufen am 26.03.2021.



Autor*innen

Erstfassung: Tobias Kolle am 01.04.2021. Den genauen Verlauf aller Bearbeitungsschritte können Sie der Versionsgeschichte des Artikels entnehmen; mögliche inhaltliche Diskussionen sind auf der Diskussionsseite einsehbar.

Zitiervorlage:
Kolle, Tobias (2021): Berichterstattung über die Waldbrände in Kalifornien 2020. In: Böhm, Felix; Böhnert, Martin; Reszke, Paul (Hrsg.): Climate Thinking – Ein Living Handbook. Kassel: Universität Kassel. URL=https://wiki.climate-thinking.de/index.php?title=Berichterstattung über die Waldbrände in Kalifornien 2020, zuletzt abgerufen am 23.11.2024.