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− | {{ | + | '''Ökofeminismus''', im Englischen ''Ecofeminism'', ''Feminist Environmentalism'' oder ''Gender and the Environment'', stellt die Verbindung intersektionaler und ökokritischer Kategorien von Differenz, Macht und Unterdrückung dar, die Konstrukte ihres jeweiligen historischen, kulturellen, sozialen und religiösen Kontexts sind und deshalb als veränderbar und manipulierbar gedacht werden müssen.<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=MacGregor, Sherilyn|Titel=Gender and Environment: An Introduction|Herausgeber*in=MacGregor, Sherilyn|Sammelband=Routledge Handbook of Gender and Environment|Jahr=2017|Ort=London/New York|Verlag=Routledge|Seite=1–24, hier S. 2}}</ref> Die Verknüpfung der Konzepte Gender und environment betrifft nach Gaard/Estok/Oppermann u. a. Fragen der Interspezies-Gerechtigkeit sowie Analysen von Macht, Gender und Ökologie.<ref>{{Quellen-Literatur|Autor*in=Gaard, Greta/Estok/Simon C./Oppermann, Serpil|Titel=Introduction|Zeitschrift=Routledge Interdisciplinary Perspectives on Literature 12|Ort=London/New York|Verlag=Routledge|Jahr=2013|Seite=1–16, hier S. 1}}</ref> Dabei ist es fruchtbar, Gender nach MacGregor als Verb („to gender“ ) zu verstehen, um die Prozesshaftigkeit soziokultureller Zuschreibungen zu markieren: „There are sociocultural processes of ‚genderization‘ at work in assigning gendered traits to living beings and inanimate things, as well as to practices, feelings, and roles.“ Unter den Begriff environment fasst MacGregor Folgendes: |
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+ | The concept generally refers to the habitat or living space surrounding all living things, but mostly humans. The dominant use of the term ‚the environment‘ refers to the non-human natural environment or ‚nature‘. Environment and nature are often used as synonyms, along with ‚ecosystem‘, ‚biosphere‘, and planet earth. In the environmental social sciences and humanities, ‚the environment‘ has been commonly understood as the natural environment, and positioned as being distinct from (albeit interconnected with) human society. | ||
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+ | Versteht man Natur lediglich im Sinne ihres lateinischen Ursprungsverbs nascere, ‚geboren werden‘ (Partizip Perfekt Passiv natus, ‚geboren‘), so wird sie auf eine essentialistische Bedeutungsnuance reduziert, was jegliche „natürliche“ Eigenschaft als angeboren, unveränderbar und somit endgültig impliziert und daher normalisiert: „To attribute any behavior to our ‚nature‘, take rape, for example, is to normalize the behavior as inevitable and innate. When any human activity, action or behavior is labeled ‚natural‘, such behavior may then be used to justify domination “. So können Hierarchien aus der Natur, etwa das Schema Raubtier und Beute, in Kontexte menschlicher Hierarchien übernommen werden und diese Hierarchien legitimieren . | ||
+ | Die Naturalisierung von Weiblichkeit und die Feminisierung von Natur sowie die Abwertung von Frau und Natur sind schließlich auf die kulturell konstruierte Einteilung von Gender und environment im Sinne von Natur in binäre Systeme zurückzuführen – sowohl Gender als auch environment werden in Gegenüberstellung zu ihrem jeweils ‚Anderen‘ künstlich konstruiert : das Männliche in Gegenüberstellung zum Weiblichen, Natur in Gegenüberstellung zu Kultur . Alles, was sich dazwischen befindet, fällt aus der Norm und wird so zur Zielscheibe von Diskriminierung gemacht. So verstehen Mies/Shiva „die strukturelle Aufspaltung von Mensch und Natur […] [als] analog zu der von Mann und Frau“ , wobei Frauen im Unterschied zu Männern und als diesen somit unterlegen markiert werden . Dieselbe Aufspaltung wird vorgenommen, wenn Natur im Gegensatz zu Kultur eine Abwertung erfährt . In diesem dualistischen Prozess des „Othering“ werden alle Entitäten, die sich außerhalb der als Norm wahrgenommenen Gruppe (in der Regel „zivilisierte“, heterosexuelle Cis-Männer ) befinden, als das ‚Andere‘ inszeniert. Dadurch werden Ungleichheiten, Privilegierungen und Repressionen erzeugt. Die Konsequenz dieses Dualismus der männlichen Vorrangstellung gegenüber Frauen, der Natur und allen ‚Anderen‘ erscheint somit als „natürlich“ und infolgedessen „gerechtfertigt“ . Shiva bezeichnet dies als die „Kultur der Naturbeherrschung“ , wobei diese ein geschlechtsspezifisches Phänomen darstellt, als Gender mit dem menschlichen Umgang mit, der Kontrolle von und der Beziehung zur Natur zusammenhängt . | ||
+ | Genau diesen hierarchischen Dualismus über Frauen und Natur kritisieren ökofeministische Ansätze, die aus Ecocriticism-Ansätzen entstanden sind und synonym auch ‚feministische Ökokritik‘ genannt werden. Nach Grewe-Volpp eignet ökofeministischen Ansätzen eine „politische Haltung, die Feminismus, Umweltschutz, Antirassismus, Tierschutz, Antikolonialismus, Antimilitarismus und nicht zuletzt traditionellen Spiritualismus zusammenführt“ . Auch wenn es unterschiedliche Formen von Ökofeminismus gibt, | ||
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+ | gehen [doch alle] davon aus, dass es eine strukturelle Verbindung zwischen der Unterdrückung von Frauen und der Ausbeutung der natürlichen Umwelt in der westlichen Welt gibt, die auch in anderen Machtverhältnissen virulent ist. […] Ziel ist folglich die Aufdeckung und Abschaffung aller Formen der Unterdrückung. | ||
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+ | Diese Definition von Ökofeminismus weitet MacGregor auf patriarchale, kapitalistisch-koloniale Systeme generell aus, wenn sie für Fragen nach der Beeinflussung von Gender durch die menschliche Wahrnehmung von Natur und nach der Behandlung von Natur durch die Gender-Brille die Relation sozialer Unterdrückung und der Ausbeutung der Natur zu sozialen Konstrukten in patriarchalen Systemen als Schnittstelle nennt . Hunnicutt geht noch einen Schritt weiter, indem sie Unterdrückung im Sinne von Ungerechtigkeiten (injustices) in den Fokus rückt, die marginalisierte Gruppen erfahren und Parallelen zur Ausbeutung und Zerstörung der Natur und mehr-als-menschlichen Welt aufweisen : „Ecofeminism […] works to expose those gendered assumptions, performances, and practices that undergird human relationships with the more-than-human-life world“ . Dabei geht sie davon aus, dass ideologische und strukturelle Verhältnisse zwischen Mensch und Natur Aufschluss über „gender violence“, also über Gewalt gegen unterschiedliche Formen sozialen Geschlechts geben können . Die Vernetzung (interconnectedness) unterschiedlicher Systeme der Unterdrückung und Beherrschung stellen auch Gaard/Estok/Oppermann fest: „Ecocriticism acts as a lens through which to view literature and its relationship to the natural environment. Ecofeminism extends from this framework and refers to the theoretical school of thought that understands forces of oppression as being interconnected“ . Dabei fechten sie diskriminierende Ideologien wie Sexismus, Rassismus, Speziesismus, Ökophobie, Klassismus, Nationalismus und Homophobie an, die auch Haraway als „racially-tinged, sexually-infused, class-saturated, and colonial tones and structures“ moniert; denn solche Ideologien sind auf die Natur ausgerichtet und so der Kontinuität des Gender-Dualismus sowie der Restriktion von Körpern dienlich. Ökofeministische Arbeit ist somit bilateral ausgerichtet: Es gilt, sowohl gegen patriarchale Annahmen und Strukturen anzukämpfen als auch heteronormatives Denken zu denaturalisieren , wodurch der Dualismus von Natur und Kultur aufgelöst werden soll. | ||
+ | Es ist festzuhalten, „dass die im Ökofeminismus analysierte Verbindung des Weiblichen mit der Natur von jeweils sehr spezifischen Bedingungen abhängt, die im Einzelnen genau zu untersuchen sind“ . Um vormoderne Texte ökofeministisch analysieren zu können, gilt es also, die Analysekategorien zu operationalisieren, denn neuzeitliche Konzepte sozialer Konstruktionen wie sex, Gender, Körper und Spezies können nicht einfach über Texte gelegt werden, die einem anderen Zeit-, Kultur-, Politik- und Religionsraum entstammen . Viele Texte des deutschsprachigen Mittelalters stehen in „Kriegertraditionen“ , um das Vokabular von Mies/Shiva zu verwenden, also in archaisch-patriarchalen Traditionen, die „monotheistische[n] Religionen wie Christentum, Judentum oder Islam“ entstammen und die misogyne und ökophobe Verhaltensweisen implizieren (können). Androzentrismus und Anthropozentrismus sieht auch Hunnicutt als die Grundursache für die Entfremdung des Menschen von der mehr-als-menschlichen Welt . Aus dieser Entfremdung entsteht schließlich auch das Argument, dass männliche Gewalt und Dominanz angeboren und demzufolge natürlich seien . | ||
+ | Für Analysen vormoderner Texte werden nun neben den bereits aus intersektionalen Ansätzen bekannten Differenzkategorien sex und Gender, Körper, besonders Spezies und infolgedessen die Überschneidungen und Interdependenzen der Kategorien berücksichtigt. Bei allen handelt es sich, wie bereits oben erwähnt, um sozial konstruierte Systeme zur Machtausübung , die je nach historischem und kulturellem Kontext differieren und in denen es um die Festlegung von Differenzen geht , weshalb sie für die Analyse spätmittelalterlicher Texte operationalisiert werden müssen. Im Anschluss daran gilt es, die systemischen Machtprozesse, die die Unterdrückung und Misshandlung von Frauen und Natur begünstigen, über Analysen der komplexen Überschneidungen der verschiedenen Kategorien herauszustellen, die wiederum zu höherer Relevanz einzelner Kategorien führen können. | ||
+ | Die Kategorie Spezies darf wie alle Differenzkategorien nicht essentialistisch , biologistisch oder naturalistisch gedacht werden. Hunnicutt definiert Speziesismus als „ideology that regards one species (humans) as superior and other species (nonhuman) as inferior. This belief system legitimates prejudice and discrimination“ . Diese Hierarchisierung favorisiert die Interessen der eigenen (menschlichen) Spezies und unterbindet die Interessen der ‚anderen‘ (nicht-menschlichen) Spezies, was wiederum zu einem Mangel an Rücksicht auf die Gleichberechtigung nicht-menschlicher oder mehr-als-menschlicher Entitäten führt . Die Unterdrückung ‚anderer‘ Spezies hat also den Anthropozentrismus als Ausgangspunkt. Es gilt, auch ‚andere‘ Spezies als die eigene „zu einem Teil eines komplexen Netzes von Beziehungen [zu] erklär[en]“ , Inklusion der Exklusion und Othering vorzuziehen: „[T]heir specifity – of kind and of individual – matter“ . Wirft man einen Blick in vormoderne Naturlehren, so wird schnell deutlich, dass bereits die mittelhochdeutsche Fachliteratur nach Spezies unterteilte. So gliedert etwa der Millstätter Physiologus unterschiedliche Spezies in Hinblick auf die Heilsgeschichte nach folgendem Muster: fantastische bzw. fremde Tiere, Reptilien, Säugetiere und Vögel - tierliche und Wunderwesen werden differenziert; Konrads von Megenberg Buch der Natur wiederum nimmt nach (spät-)antiken lateinischsprachigen Vorbildern wie Aristoteles-Übersetzungen und Texten von Isidor von Sevilla oder Thomas von Cantimpré neben (‚Wunder‘-)Tieren, Pflanzen, Planeten auch den Menschen auf – letzteren jedoch im ersten Kapitel, ist er doch nach Gottes Abbild geschaffen. Die ‚Wunderwesen‘ werden bei Konrad zu den Tieren gestellt, jedoch mit separaten Unterkapiteln. Die Dichotomie menschlich-tierlich (mehr-als-menschlich) existiert also bereits im Mittelalter. | ||
+ | Die Abgrenzung der sozial-kulturellen Einschreibungen von Geschlecht (Gender) von der körperlichen Geschlechtsdimension (sex) wird seit Judith Butler kritisiert , denn die beiden Geschlechterdimensionen hängen untrennbar miteinander zusammen. Bis zum 17. Jahrhundert, so Laqueur, wurde über das sogenannte One-sex-Modell nach Galen jedoch immer wieder die männliche Dominanz bekräftigt, indem das primäre weibliche Geschlechtsorgan, also die Vagina, als anatomisch „minderwertige“ Variante des Penis des Mannes betrachtet wurde . Laqueurs Ansatz, „daß auch die Wahrnehmung und Interpretation der Sexualorgane kulturell geprägt sei“ , ist durchaus zu befürworten; die Annahme eines One-sex-Modells vom Mittelalter bis in die Moderne hinein gilt heute jedoch als überholt: „Laqueur is correct to point out the power of Galen’s one-sex body in sixteenth- and seventeenth-century European culture, but he wrongly assumes that it spent the intervening centuries percolating along“ . In Hinblick auf die Gender-Komponente postulieren Schul/Böth besonders für fiktionale mittelhochdeutsche Texte „eine Pluralität der Geschlechtsidentitäten“ : | ||
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+ | Die heteronormative Geschlechterordnung wurde in vormodernen Gesellschaften nicht in gleicher Weise über eine gefestigte, biologisch-anatomische Verfasstheit des Körpers hergeleitet [wie in der Moderne], so dass in unterschiedlichen diskursiven Kontexten auch variable Formationen ausgebildet werden, die die physischen Grenzen eher fließend gestalten. | ||
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+ | Dieses Fehlen von Beschreibungen biologischer Elemente betont auch Sieber und verweist auf die „Konstruktion elitärer Körper“ in mittelhochdeutschen Texten. Geschlecht eignet im Mittelalter schließlich auch ein stratifizierend-räumliches Moment : „Während männliche Protagonisten den architektonisch und geographisch organisierten Raum unbegrenzt erfahren können, bleibt der Aktionsradius weiblicher Figuren meist auf die Kemenate als Schutzraum beschränkt“ . | ||
+ | Die Kategorien Spezies und Gender stellen aber nicht nur die Einschreibungen sozialer Konstrukte dar, sondern markieren auch, „dass unsere Körper materiell verstrickt sind mit einer Vielzahl von Elementen der natürlichen Umwelt“ . Sie sind erstens „selbst aktiv an der Produktion von Bedeutung beteiligt. Körper sind […] sowohl biologische Phänomene als auch das Resultat diskursiver Prozesse“ , Hierarchien, Ungerechtigkeiten und Differenzmerkmale spiegeln sich so zweitens immer auch auf dem Körper wider, in Hinblick auf Geschlechtseinschreibungen etwa durch „die Erzeugung eines geschlechtsspezifischen Habitus als inszenatorischer Effekt von Einkleidung oder kultureller Attribuierung“ . In der mittelhochdeutschen Literatur besonders aufschlussreich für Markierungen von Differenzen sind also Kleidung und kulturelle Attribuierungen , wobei aber nicht nur der Spezies Mensch Körper eignen, sondern eben auch ‚anderen‘ Spezies. Drittens führen Körper selbst diskriminierende, unterdrückende und misshandelnde Handlungen aus. Körper stellen somit sowohl eine intersektionale Kategorie als auch deren Projektionsfläche dar. | ||
+ | Hunnicutt schreibt bezüglich des menschlichen Blicks auf Natur von der engen Kongruenz von Sprache und sozialen Strukturen, die die Natur oft als bedrohliche Kraft inszenieren . | ||
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+ | Literaturverzeichnis | ||
+ | Primärliteratur | ||
+ | Konrad von Megenberg: Das ‚Buch der Natur‘. Band II. Kritischer Text nach den Handschriften. Hrsg. von Robert Luff und Georg Steer. Tübingen 2003. | ||
+ | Der Millstätter Physiologus. Text, Übersetzung, Kommentar. Hrsg. von Christian Schröder. Würzburg 2005. | ||
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+ | Sekundärliteratur | ||
+ | Judith Butler: Gender Trouble. New York/London 2007. | ||
+ | Greta Gaard/Simon C. Estok/Serpil Oppermann: „Introduction“. In: Routledge Interdisciplinary Perspectives on Literature 12 (2013), S. 1-16. | ||
+ | Christa Grewe-Volpp: „Ökofeminismus und Material Turn“. In: Ecocriticism. Eine Einführung, hrsg. von Gabriele Dürbeck/Urte Stobbe (2015), S. 44-56. | ||
+ | Donna Haraway: The Companion Species Manifesto. Dogs, People, and Significant Otherness. Chicago 2003. | ||
+ | Gwen Hunnicutt: Gender Violence in Ecofeminist Perspective. Intersections of Animal Oppression, Patriarchy and Domination of the Earth. London/New York 2020. | ||
+ | Pamela B. June: Solidarity with the Other Beings on the Planet. Alice Walker, Ecofeminism, and Animals in Literature. Evanston, Illinois 2020. | ||
+ | Manfred Kern: „Oenone“. In: Lexikon der antiken Gestalten in den deutschen Texten des Mittelalters, hrsg. von Manfred Kern/Alfred Ebenbauer (2003), S. 437-438. | ||
+ | Andreas Kraß: „Einführung: Historische Intersektionalitätsforschung als kulturwissenschaftliches Projekt“. In: Durchkreuzte Helden. Das „Nibelungenlied“ und Fritz Langs Film „Die Nibelungen“ im Licht der Intersektionalitätsforschung, hrsg. von Nataša Bedeković/Andreas Kraß/Astrid Lembke (2014), S. 7-47. | ||
+ | Thomas Laqueur: Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud. Aus dem Englischen von H. Jochen Bußmann. Frankfurt am Main/New York 1992. | ||
+ | Sherilyn MacGregor: „Gender and Environment: An Introduction“. In: Routledge Handbook of Gender and Environment, hrsg. von Sherilyn MacGregor (2017), S. 1-24. | ||
+ | Katherine Park: „Cadden, Laqueur, and the ‚One-Sex Body‘“. In: Medieval Feminist Forum 46 (1) (2010), S. 96-100. | ||
+ | Susanne Schul: HeldenGeschlechtNarrationen. Gender, Intersektionalität und Transformation im Nibelungenlied und in Nibelungenlied-Adaptionen. Frankfurt am Main 2014. | ||
+ | Susanne Schul/Mareike Böth: „Abenteuerliche ‚Überkreuzungen‘: Vormoderne intersektional“. In: Abenteuerliche ‚Überkreuzungen‘: Vormoderne intersektional, hrsg. von Susanne Schul/Mareike Böth/Michael Mecklenburg (2017), S. 9-39. | ||
+ | Maria Mies/Vandana Shiva: „Einleitung: Warum wir dieses Buch zusammen geschrieben haben“. In: Ökofeminismus. Beiträge zur Praxis und Theorie. Aus dem Englischen übersetzt von Andrea Hunziker und Margrit Klingler-Clavijo, hrsg. von Maria Mies/Vandana Shiva (1995), S. 7-35. | ||
+ | Vandana Shiva: „Ökofeminismus“. In: Eine andere Welt ist möglich. Aufforderung zum zivilen Ungehorsam. Aus dem Französischen von Gabriele Gockel, Sonja Schuhmacher und Thomas Wollermann, hrsg. von Lionel Astruc/Vandana Shiva (2019), S. 125-148. | ||
+ | Andrea Sieber: „Gender Studies“. In: Literatur- und Kulturtheorien in der Germanistischen Mediävistik. Ein Handbuch, hrsg. von Christiane Ackermann und Michael Egerding (2015), S. 103-140. | ||
+ | Inge Stephan: „Gender, Geschlecht und Theorie“. In: Gender Studien. Eine Einführung, hrsg. von Christina von Braun/Inge Stephan (2006), S. 52-90. |
Version vom 25. März 2024, 16:16 Uhr
Ökofeminismus, im Englischen Ecofeminism, Feminist Environmentalism oder Gender and the Environment, stellt die Verbindung intersektionaler und ökokritischer Kategorien von Differenz, Macht und Unterdrückung dar, die Konstrukte ihres jeweiligen historischen, kulturellen, sozialen und religiösen Kontexts sind und deshalb als veränderbar und manipulierbar gedacht werden müssen.[1] Die Verknüpfung der Konzepte Gender und environment betrifft nach Gaard/Estok/Oppermann u. a. Fragen der Interspezies-Gerechtigkeit sowie Analysen von Macht, Gender und Ökologie.[2] Dabei ist es fruchtbar, Gender nach MacGregor als Verb („to gender“ ) zu verstehen, um die Prozesshaftigkeit soziokultureller Zuschreibungen zu markieren: „There are sociocultural processes of ‚genderization‘ at work in assigning gendered traits to living beings and inanimate things, as well as to practices, feelings, and roles.“ Unter den Begriff environment fasst MacGregor Folgendes:
The concept generally refers to the habitat or living space surrounding all living things, but mostly humans. The dominant use of the term ‚the environment‘ refers to the non-human natural environment or ‚nature‘. Environment and nature are often used as synonyms, along with ‚ecosystem‘, ‚biosphere‘, and planet earth. In the environmental social sciences and humanities, ‚the environment‘ has been commonly understood as the natural environment, and positioned as being distinct from (albeit interconnected with) human society.
Versteht man Natur lediglich im Sinne ihres lateinischen Ursprungsverbs nascere, ‚geboren werden‘ (Partizip Perfekt Passiv natus, ‚geboren‘), so wird sie auf eine essentialistische Bedeutungsnuance reduziert, was jegliche „natürliche“ Eigenschaft als angeboren, unveränderbar und somit endgültig impliziert und daher normalisiert: „To attribute any behavior to our ‚nature‘, take rape, for example, is to normalize the behavior as inevitable and innate. When any human activity, action or behavior is labeled ‚natural‘, such behavior may then be used to justify domination “. So können Hierarchien aus der Natur, etwa das Schema Raubtier und Beute, in Kontexte menschlicher Hierarchien übernommen werden und diese Hierarchien legitimieren . Die Naturalisierung von Weiblichkeit und die Feminisierung von Natur sowie die Abwertung von Frau und Natur sind schließlich auf die kulturell konstruierte Einteilung von Gender und environment im Sinne von Natur in binäre Systeme zurückzuführen – sowohl Gender als auch environment werden in Gegenüberstellung zu ihrem jeweils ‚Anderen‘ künstlich konstruiert : das Männliche in Gegenüberstellung zum Weiblichen, Natur in Gegenüberstellung zu Kultur . Alles, was sich dazwischen befindet, fällt aus der Norm und wird so zur Zielscheibe von Diskriminierung gemacht. So verstehen Mies/Shiva „die strukturelle Aufspaltung von Mensch und Natur […] [als] analog zu der von Mann und Frau“ , wobei Frauen im Unterschied zu Männern und als diesen somit unterlegen markiert werden . Dieselbe Aufspaltung wird vorgenommen, wenn Natur im Gegensatz zu Kultur eine Abwertung erfährt . In diesem dualistischen Prozess des „Othering“ werden alle Entitäten, die sich außerhalb der als Norm wahrgenommenen Gruppe (in der Regel „zivilisierte“, heterosexuelle Cis-Männer ) befinden, als das ‚Andere‘ inszeniert. Dadurch werden Ungleichheiten, Privilegierungen und Repressionen erzeugt. Die Konsequenz dieses Dualismus der männlichen Vorrangstellung gegenüber Frauen, der Natur und allen ‚Anderen‘ erscheint somit als „natürlich“ und infolgedessen „gerechtfertigt“ . Shiva bezeichnet dies als die „Kultur der Naturbeherrschung“ , wobei diese ein geschlechtsspezifisches Phänomen darstellt, als Gender mit dem menschlichen Umgang mit, der Kontrolle von und der Beziehung zur Natur zusammenhängt . Genau diesen hierarchischen Dualismus über Frauen und Natur kritisieren ökofeministische Ansätze, die aus Ecocriticism-Ansätzen entstanden sind und synonym auch ‚feministische Ökokritik‘ genannt werden. Nach Grewe-Volpp eignet ökofeministischen Ansätzen eine „politische Haltung, die Feminismus, Umweltschutz, Antirassismus, Tierschutz, Antikolonialismus, Antimilitarismus und nicht zuletzt traditionellen Spiritualismus zusammenführt“ . Auch wenn es unterschiedliche Formen von Ökofeminismus gibt,
gehen [doch alle] davon aus, dass es eine strukturelle Verbindung zwischen der Unterdrückung von Frauen und der Ausbeutung der natürlichen Umwelt in der westlichen Welt gibt, die auch in anderen Machtverhältnissen virulent ist. […] Ziel ist folglich die Aufdeckung und Abschaffung aller Formen der Unterdrückung.
Diese Definition von Ökofeminismus weitet MacGregor auf patriarchale, kapitalistisch-koloniale Systeme generell aus, wenn sie für Fragen nach der Beeinflussung von Gender durch die menschliche Wahrnehmung von Natur und nach der Behandlung von Natur durch die Gender-Brille die Relation sozialer Unterdrückung und der Ausbeutung der Natur zu sozialen Konstrukten in patriarchalen Systemen als Schnittstelle nennt . Hunnicutt geht noch einen Schritt weiter, indem sie Unterdrückung im Sinne von Ungerechtigkeiten (injustices) in den Fokus rückt, die marginalisierte Gruppen erfahren und Parallelen zur Ausbeutung und Zerstörung der Natur und mehr-als-menschlichen Welt aufweisen : „Ecofeminism […] works to expose those gendered assumptions, performances, and practices that undergird human relationships with the more-than-human-life world“ . Dabei geht sie davon aus, dass ideologische und strukturelle Verhältnisse zwischen Mensch und Natur Aufschluss über „gender violence“, also über Gewalt gegen unterschiedliche Formen sozialen Geschlechts geben können . Die Vernetzung (interconnectedness) unterschiedlicher Systeme der Unterdrückung und Beherrschung stellen auch Gaard/Estok/Oppermann fest: „Ecocriticism acts as a lens through which to view literature and its relationship to the natural environment. Ecofeminism extends from this framework and refers to the theoretical school of thought that understands forces of oppression as being interconnected“ . Dabei fechten sie diskriminierende Ideologien wie Sexismus, Rassismus, Speziesismus, Ökophobie, Klassismus, Nationalismus und Homophobie an, die auch Haraway als „racially-tinged, sexually-infused, class-saturated, and colonial tones and structures“ moniert; denn solche Ideologien sind auf die Natur ausgerichtet und so der Kontinuität des Gender-Dualismus sowie der Restriktion von Körpern dienlich. Ökofeministische Arbeit ist somit bilateral ausgerichtet: Es gilt, sowohl gegen patriarchale Annahmen und Strukturen anzukämpfen als auch heteronormatives Denken zu denaturalisieren , wodurch der Dualismus von Natur und Kultur aufgelöst werden soll. Es ist festzuhalten, „dass die im Ökofeminismus analysierte Verbindung des Weiblichen mit der Natur von jeweils sehr spezifischen Bedingungen abhängt, die im Einzelnen genau zu untersuchen sind“ . Um vormoderne Texte ökofeministisch analysieren zu können, gilt es also, die Analysekategorien zu operationalisieren, denn neuzeitliche Konzepte sozialer Konstruktionen wie sex, Gender, Körper und Spezies können nicht einfach über Texte gelegt werden, die einem anderen Zeit-, Kultur-, Politik- und Religionsraum entstammen . Viele Texte des deutschsprachigen Mittelalters stehen in „Kriegertraditionen“ , um das Vokabular von Mies/Shiva zu verwenden, also in archaisch-patriarchalen Traditionen, die „monotheistische[n] Religionen wie Christentum, Judentum oder Islam“ entstammen und die misogyne und ökophobe Verhaltensweisen implizieren (können). Androzentrismus und Anthropozentrismus sieht auch Hunnicutt als die Grundursache für die Entfremdung des Menschen von der mehr-als-menschlichen Welt . Aus dieser Entfremdung entsteht schließlich auch das Argument, dass männliche Gewalt und Dominanz angeboren und demzufolge natürlich seien . Für Analysen vormoderner Texte werden nun neben den bereits aus intersektionalen Ansätzen bekannten Differenzkategorien sex und Gender, Körper, besonders Spezies und infolgedessen die Überschneidungen und Interdependenzen der Kategorien berücksichtigt. Bei allen handelt es sich, wie bereits oben erwähnt, um sozial konstruierte Systeme zur Machtausübung , die je nach historischem und kulturellem Kontext differieren und in denen es um die Festlegung von Differenzen geht , weshalb sie für die Analyse spätmittelalterlicher Texte operationalisiert werden müssen. Im Anschluss daran gilt es, die systemischen Machtprozesse, die die Unterdrückung und Misshandlung von Frauen und Natur begünstigen, über Analysen der komplexen Überschneidungen der verschiedenen Kategorien herauszustellen, die wiederum zu höherer Relevanz einzelner Kategorien führen können. Die Kategorie Spezies darf wie alle Differenzkategorien nicht essentialistisch , biologistisch oder naturalistisch gedacht werden. Hunnicutt definiert Speziesismus als „ideology that regards one species (humans) as superior and other species (nonhuman) as inferior. This belief system legitimates prejudice and discrimination“ . Diese Hierarchisierung favorisiert die Interessen der eigenen (menschlichen) Spezies und unterbindet die Interessen der ‚anderen‘ (nicht-menschlichen) Spezies, was wiederum zu einem Mangel an Rücksicht auf die Gleichberechtigung nicht-menschlicher oder mehr-als-menschlicher Entitäten führt . Die Unterdrückung ‚anderer‘ Spezies hat also den Anthropozentrismus als Ausgangspunkt. Es gilt, auch ‚andere‘ Spezies als die eigene „zu einem Teil eines komplexen Netzes von Beziehungen [zu] erklär[en]“ , Inklusion der Exklusion und Othering vorzuziehen: „[T]heir specifity – of kind and of individual – matter“ . Wirft man einen Blick in vormoderne Naturlehren, so wird schnell deutlich, dass bereits die mittelhochdeutsche Fachliteratur nach Spezies unterteilte. So gliedert etwa der Millstätter Physiologus unterschiedliche Spezies in Hinblick auf die Heilsgeschichte nach folgendem Muster: fantastische bzw. fremde Tiere, Reptilien, Säugetiere und Vögel - tierliche und Wunderwesen werden differenziert; Konrads von Megenberg Buch der Natur wiederum nimmt nach (spät-)antiken lateinischsprachigen Vorbildern wie Aristoteles-Übersetzungen und Texten von Isidor von Sevilla oder Thomas von Cantimpré neben (‚Wunder‘-)Tieren, Pflanzen, Planeten auch den Menschen auf – letzteren jedoch im ersten Kapitel, ist er doch nach Gottes Abbild geschaffen. Die ‚Wunderwesen‘ werden bei Konrad zu den Tieren gestellt, jedoch mit separaten Unterkapiteln. Die Dichotomie menschlich-tierlich (mehr-als-menschlich) existiert also bereits im Mittelalter. Die Abgrenzung der sozial-kulturellen Einschreibungen von Geschlecht (Gender) von der körperlichen Geschlechtsdimension (sex) wird seit Judith Butler kritisiert , denn die beiden Geschlechterdimensionen hängen untrennbar miteinander zusammen. Bis zum 17. Jahrhundert, so Laqueur, wurde über das sogenannte One-sex-Modell nach Galen jedoch immer wieder die männliche Dominanz bekräftigt, indem das primäre weibliche Geschlechtsorgan, also die Vagina, als anatomisch „minderwertige“ Variante des Penis des Mannes betrachtet wurde . Laqueurs Ansatz, „daß auch die Wahrnehmung und Interpretation der Sexualorgane kulturell geprägt sei“ , ist durchaus zu befürworten; die Annahme eines One-sex-Modells vom Mittelalter bis in die Moderne hinein gilt heute jedoch als überholt: „Laqueur is correct to point out the power of Galen’s one-sex body in sixteenth- and seventeenth-century European culture, but he wrongly assumes that it spent the intervening centuries percolating along“ . In Hinblick auf die Gender-Komponente postulieren Schul/Böth besonders für fiktionale mittelhochdeutsche Texte „eine Pluralität der Geschlechtsidentitäten“ :
Die heteronormative Geschlechterordnung wurde in vormodernen Gesellschaften nicht in gleicher Weise über eine gefestigte, biologisch-anatomische Verfasstheit des Körpers hergeleitet [wie in der Moderne], so dass in unterschiedlichen diskursiven Kontexten auch variable Formationen ausgebildet werden, die die physischen Grenzen eher fließend gestalten.
Dieses Fehlen von Beschreibungen biologischer Elemente betont auch Sieber und verweist auf die „Konstruktion elitärer Körper“ in mittelhochdeutschen Texten. Geschlecht eignet im Mittelalter schließlich auch ein stratifizierend-räumliches Moment : „Während männliche Protagonisten den architektonisch und geographisch organisierten Raum unbegrenzt erfahren können, bleibt der Aktionsradius weiblicher Figuren meist auf die Kemenate als Schutzraum beschränkt“ . Die Kategorien Spezies und Gender stellen aber nicht nur die Einschreibungen sozialer Konstrukte dar, sondern markieren auch, „dass unsere Körper materiell verstrickt sind mit einer Vielzahl von Elementen der natürlichen Umwelt“ . Sie sind erstens „selbst aktiv an der Produktion von Bedeutung beteiligt. Körper sind […] sowohl biologische Phänomene als auch das Resultat diskursiver Prozesse“ , Hierarchien, Ungerechtigkeiten und Differenzmerkmale spiegeln sich so zweitens immer auch auf dem Körper wider, in Hinblick auf Geschlechtseinschreibungen etwa durch „die Erzeugung eines geschlechtsspezifischen Habitus als inszenatorischer Effekt von Einkleidung oder kultureller Attribuierung“ . In der mittelhochdeutschen Literatur besonders aufschlussreich für Markierungen von Differenzen sind also Kleidung und kulturelle Attribuierungen , wobei aber nicht nur der Spezies Mensch Körper eignen, sondern eben auch ‚anderen‘ Spezies. Drittens führen Körper selbst diskriminierende, unterdrückende und misshandelnde Handlungen aus. Körper stellen somit sowohl eine intersektionale Kategorie als auch deren Projektionsfläche dar. Hunnicutt schreibt bezüglich des menschlichen Blicks auf Natur von der engen Kongruenz von Sprache und sozialen Strukturen, die die Natur oft als bedrohliche Kraft inszenieren .
Literaturverzeichnis Primärliteratur Konrad von Megenberg: Das ‚Buch der Natur‘. Band II. Kritischer Text nach den Handschriften. Hrsg. von Robert Luff und Georg Steer. Tübingen 2003. Der Millstätter Physiologus. Text, Übersetzung, Kommentar. Hrsg. von Christian Schröder. Würzburg 2005.
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- ↑ MacGregor, Sherilyn (2017): Gender and Environment: An Introduction. In: MacGregor, Sherilyn (Hrsg.): Routledge Handbook of Gender and Environment, London/New York: Routledge, S. 1–24, hier S. 2.
- ↑ Gaard, Greta/Estok/Simon C./Oppermann, Serpil (2013): Introduction. In: Routledge Interdisciplinary Perspectives on Literature 12 London/New York: Routledge, S. 1–16, hier S. 1.