Tatsache (alltagssprachlich)

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Teil der Reihe
Wissen in der Klimakrise
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Einführung in die Themenreihe
Was ist eine Tatsache?
alltagssprachlich
wissenschaftssoziologisch
sprachphilosophisch


Für „Wissensgesellschaften“[1] scheint es wie selbstverständlich, sich auf Tatsachen zu berufen. Doch bereits die Frage danach, was von wem und in welchen Kontexten als Tatsache anerkannt wird, eröffnet den Blick auf den Tatsachenbegriff selbst. Als Teil einer Reihe zum Tatsachenbegriff, thematisiert dieser Artikel den Begriff Tatsache in seiner alltagssprachlichen Verwendung.

Alltagssprache

Der Begriff Tatsache wird im Duden als „wirklicher, gegebener Umstand“[2] definiert. Im Duden, der einen Versuch der Abbildung des aktuellen Sprachgebrauchs darstellt, werden zudem die Begriffe Fakt, Faktum, gegebener Umstand und Gegebenheit als Synonyme angeführt.[3] Der Begriff Faktum wird als „etwas, was tatsächlich, nachweisbar vorhanden, geschehen ist; [unumgängliche] Tatsache“[4] definiert und ist somit eng mit dem Tatsachenbegriff verschränkt. Dies unterstützt der Begriff Gegebenheit, welcher einen „in bestimmter Weise gegebene[n] Zustand“[5] meint und somit das Bedeutungsnetz um den Tatsachenbegriff aufzeigt.

Auch Wikipedia bestimmt den Tatsachenbegriff in ähnlicher Weise wie der Duden. Laut Wikipedia ist eine Tatsache ein nachweisbarer, bestehender, wahrer oder anerkannter Sachverhalt. Tatsachen werden entsprechend als etwas tatsächlich Vorhandendes bzw. Existierendes beschrieben.[6] Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache begreift den Begriff Tatsache ebenfalls als „wirkliches Geschehen, etw. wirklich Vorhandenes, unbezweifelbarer Sachverhalt“.[7]

Auch in der Wissenschaftsphilosophie wird das Alltagsverständnis des Begriffs theoretisch reflektiert, häufig um sich anschließend kritisch damit zu beschäftigen. Zu Forscher*innen, die sich hierfür interessieren, zählt der Soziologe Bruno Latour, der ebenfalls betont, dass der Tatsachenbegriff alltagssprachlich in einem engen Bedeutungsverhältnis mit Begriffen und Konzepten wie Wirklichkeit und Wahrheit steht. Somit würden Tatsachen im Alltag als Phänomene betrachtet, welche bereits in der Welt vorhanden sind.[8] Auch der Wissenschaftstheoretiker Ludwik Fleck thematisiert den Tatsachenbegriff und definiert dessen Alltagsverwendung mit Eigenschaften wie feststehend, bleibend, unabhängig und unveränderlich.[9]

Der Begriff Tatsache wird auch in anderen Sprachen ähnlich wie im Deutschen verwendet, er ist demnach kein einzelsprachliches Phänomen. So findet sich im Oxford English Dictionary der englische Begriff fact unter anderem mit der Bedeutung eines realen Ereignisses und der Repräsentation der Wahrheit.[10] Auch im Spanischen wird hecho im Wörterbuch der Real Academia Española in einer Bedeutungsvariante herausgestellt, die sich auf Wahrhaftigkeit und Wirklichkeit bezieht.[11]

Etymologie

Betrachtet man die Entwicklungsgeschichte des Wortes Tatsache in der deutschen Sprache, zeigt sich, dass der Begriff nicht immer so verwendet wurde, wie er heute genutzt wird. Hierzu beschreibt das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, dass sich eine Entwicklung vom Begriff Tat im achten Jahrhundert über verschiedene Begriffe bis zum Begriff Tatsache im 18. Jahrhundert vollzog.[12]

Auffällig ist hierbei die enge Verbundenheit zum Verb tun, welches noch in der Tat-Sache steckt. Diese lässt sich noch heute auch im spanischen hecho (= Tatsache), welches sich aus dem Verb hacer (= tun/ machen) ableitet, beobachten.[13] Auch das englische fact sowie der im Deutschen mit Tatsache verbundene Begriff Faktum verweisen hierauf, gehen beide Begriffe doch auf das lateinische facere zurück, welches ebenfalls die Wortbedeutung machen oder tun besitzt.[14]

Zusammenfassend ist zu sagen, dass heutzutage der Begriff Tatsache im Alltag auf von Menschen unabhängige und unbeeinflusste, stabile, unveränderliche Phänomene verweist. Interessant ist, dass im Wort selbst hingegen bereits das Gemachte eingelagert ist. Gerade dies wird allerdings im alltagssprachlichen Gebrauch von Tatsachen geradezu ausgeschlossen. Auf die Spannung zwischen Objektivismus und Konstruktivismus, zwischen den Dingen, so wie sie sind, und so wie wir sie machen, beziehen sich auch Autor*innen aus der Wissenschaftsphilosophie, -soziologie oder -geschichte, welche im Kontrast zu dem Alltagsverständnis ungewöhnliche Formulierungen verwenden: Fleck spricht bespielweise davon, dass sich Tatsachen entwickeln und entstehen,[15] Latour hingegen stellt fest, dass Tatsachen etwas Prozesshaftes sind, welche das Ergebnis von Aushandlungsprozessen sind.[16] und die Wissenschaftstheoretikerin Karin Knorr-Cetina spricht davon, dass Tatsachen fabriziert werden.[17] Sprachphilosophisch betrachtet, lässt sich sogar ein umfassender Teil unserer Wirklichkeit erst mittels institutioneller und sozial konstituierter Tatsachen angemessen beschreiben. All diese Formulierungen widersprechen unserer intuitiven, alltäglichen Konzeption fester, unveränderlicher und unabhängiger Tatsachen, finden sich aber in dem begriffsgeschichtlichen Ursprung von Tat-Sachen als etwas vom Tun Abhängiges.

Populärwissenschaftliche Verwendung

Der Begriff Tatsache findet auch in den Populärwissenschaften Anwendung. Populärwissenschaften machen wissenschaftliche Inhalte für die Gesellschaft zugänglich und sorgen somit für eine Kommunikation zwischen Wissenschaft und Bevölkerung. Ziel ist es, die gesellschaftliche Aufmerksamkeit für wissenschaftliche Erkenntnisse zu steigern.[18] Die Internetseite Spektrum etwa unterteilt den Begriff Tatsachen in Sachverhalte und Tatsachenaussagen. Tatsachen im Sinne von Sachverhalten sind materielle Gegenstände, welche sich in einem bestimmten Zustand befinden, wie beispielsweise die Erde, welche um die Sonne kreist. Diese Tatsache ist theorieunabhängig und somit objektiv. Dies deckt sich mit der allgemeinen alltagssprachlichen Verwendung. Tatsachenaussagen sind wahre Aussagen über einen Sachverhalt. Dieser Sachverhalt wird mit Hilfe von Beobachtungen und Hypothesen formuliert. Dies ist wiederum vom Vorwissen oder von bereits bestehenden wissenschaftlichen Theorien abhängig.[19]

Tatsachen in den Naturwissenschaften

Abb. 1: Schematische Darstellung des naturwissenschaftlichen Erkenntnisprozesses.

Im naturwissenschaftlichen Sprachgebrauch sind Tatsachen das Ziel des wissenschaftlichen Erkenntnisweges (siehe Abbildung 1). Dieser beginnt beispielsweise aus biologiedidaktischer Sicht mit einem Phänomen oder einer Beobachtung. Daraus wird eine Fragestellung abgeleitet und aus dieser Fragestellung wird mit Hilfe von bereits vorhandenem Vorwissen eine Hypothese generiert. Danach folgt die Planung und im Anschluss daran die Durchführung eines Experimentes. Hierbei müssen die abhängigen und die unabhängigen Variablen beachtet werden. Zum Schluss werden die Ergebnisse ausgewertet und es findet ein Rückbezug zur aufgestellten Hypothese statt. Diese kann entweder verifiziert oder falsifiziert werden.[20]

Diese Tatsachen müssen den Gütekriterien der Validität, Reliabilität und der Objektivität entsprechen. Diese Gütekriterien finden in allen Bereichen der empirischen Wissenschaften Anwendung. Validität ist gegeben, wenn genau das gemessen wird, was auch gemessen werden soll. Reliabilität wird erreicht, wenn die Messergebnisse auch bei wiederholter Messung reproduzierbar sind. Die Objektivität besagt, dass unterschiedliche Personen zu den gleichen Messergebnissen gelangen müssen.[21]

Belege

  1. Siehe etwa Willke, Helmut (1997): Supervision des Staates. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
  2. [Lemma] Tatsache. In: Bibliographisches Institut GmbH (Hrsg.): Duden, Online, zuletzt abgerufen am 09.02.2022.
  3. vgl. [Lemma] Tatsache. In: Bibliographisches Institut GmbH (Hrsg.): Duden, Online, zuletzt abgerufen am 09.02.2022.
  4. [Lemma] Faktum. In: Bibliographisches Institut GmbH (Hrsg.): Duden, Online, zuletzt abgerufen am 09.02.2022.
  5. [Lemma] Gegebenheit. In: Bibliographisches Institut GmbH (Hrsg.): Duden, Online, zuletzt abgerufen am 09.02.2022.
  6. vgl. [Lemma] Tatsache. Wikipedia, Online, zuletzt abgerufen am 09.02.2022.
  7. [Lemma] Tatsache. In: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, Online, zuletzt abgerufen am 09.02.2022.
  8. vgl. Latour, Bruno (2000): Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 381.
  9. vgl. Fleck, Ludwik (1980/1935): Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 1.
  10. vgl. [Lemma] Fact. In: Oxford University Press (Hrsg.): Oxford English Dictionary, 3rd Edition,
  11. vgl. [Lemma] Hecho. In: Real Academia Española (Hrsg.): Diccionario de la lengua española, Online, zuletzt abgerufen am 09.02.2022.
  12. vgl. [Lemma] Tatsache. In: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, Online, zuletzt abgerufen am 09.02.2022.
  13. vgl. [Lemma] Hecho. In: Real Academia Española (Hrsg.): Diccionario de la lengua española, Online, zuletzt abgerufen am 09.02.2022.
  14. vgl. [Lemma] Faktum. In: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, Online, zuletzt abgerufen am 09.02.2022.
  15. vgl. Fleck, Ludwik (1980): Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 1.
  16. vgl. Latour, Bruno (2000): Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 381.
  17. vgl. Knorr-Cetina, Karin (1981): The Manufacture of Knowledge. Oxford: Pergamon Press, S. 3.
  18. vgl. Herbst, Liesa (2015): Von Natur aus anders, Die Biologisierung der Geschlechterdifferenz und ihre Renaissance in populären Sachbüchern. Wien: Liv Verlag, S. 75.
  19. vgl. [Lemma] Faktum. In: Spektrum Akademischer Verlag (Hrsg.): Spektrum, Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag (1999). Online, zuletzt abgerufen am 09.02.2022.
  20. vgl. Gropengießer, Harald; Kattmann, Ulrich; Krüger, Dirk (2017): Biologiedidaktik in Übersichten. Seelze: Aulis, S. 270.
  21. vgl. Himme, Alexander (2007): Gütekriterien der Messung: Reliabilität, Validität und Generalisierbarkeit. In: Albers, Sönke, Klapper, Daniel, Konradt, Udo, Walter, Achim, & Wolf, Joachim (Hrsg.): Methodik der empirischen Forschung, Wiesbaden: Gabler, S. 375.



Autor*innen

Erstfassung: Marie Döring und Sophie Meyer am 12.02.2022. Den genauen Verlauf aller Bearbeitungsschritte können Sie der Versionsgeschichte des Artikels entnehmen; mögliche inhaltliche Diskussionen sind auf der Diskussionsseite einsehbar.

Zitiervorlage:
Döring, Marie; Meyer, Sophie (2022): Tatsache (alltagssprachlich). In: Böhm, Felix; Böhnert, Martin; Reszke, Paul (Hrsg.): Climate Thinking – Ein Living Handbook. Kassel: Universität Kassel. URL=https://wiki.climate-thinking.de/index.php?title=Tatsache (alltagssprachlich), zuletzt abgerufen am 21.11.2024.