Benutzer: Thomas Schiffner/Werkstatt

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Der folgende Beitrag stellt dar, inwieweit der Dokumentarfilm „More than Honey“ zur Schaffung eines stärkeren Umweltbewusstseins beitragen kann. Die Untersuchung erfolgt vor dem Hintergrund des Diskurses um den Klimawandel und dem weltweiten Massensterben von Bienen. Dokumentarfilme über den Klimawandel können bei Zuschauer*innen durch ihre filmische Gestaltung ein neues Umweltbewusstsein schaffen. Hierbei kann den Zuschauer*innen multimodal umweltrelevantes Wissen vermittelt werden. Das Wissen allein führt jedoch erwartbar noch nicht zu einem umweltbewussteren Verhalten. Deshalb wird im Folgenden auch die Rolle der in diesem Dokumentarfilm transportierten Emotionen näher betrachtet werden.

Umweltbewusstsein

Unter Umweltbewusstsein wird die „Einsicht in die Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlage des Menschen durch diesen Selbst und als Bereitschaft zur Abhilfe“ verstanden.[1] In Zusammenhang mit dem Umweltbewusstsein werden die drei Komponenten Umweltwissen, Umwelteinstellung und Umweltverhalten voneinander unterschieden.

  • Umweltwissen: Umweltwissen wird als der Kenntnis- und Informationsstand einer Person über die Themen Natur und Entwicklungen in ökologischen Aufmerksamkeitsfeldern verstanden. Dieser wird über Methoden, Denkmuster und Traditionen in Bezug auf Umweltfragen hergeleitet.[2] Obwohl gegenwärtig auf gesellschaftlicher als auch auf individueller Handlungsebene ein breit vorhandenes Wissen um die klimatischen Veränderungen besteht, sind bislang keine oder nur unzureichende adäquate Reaktionen im Handeln zu erkennen.[3] Demzufolge führt das Wissen über die Umwelt im Allgemeinen nicht zwangsläufig zu einem umweltbewussten Verhalten.
  • Umwelteinstellung: „Unter Umwelteinstellungen werden neben Einstellungen zu Fragen des Umweltschutzes im engeren Sinne auch Ängste, Empörung, Zorn und Betroffenheit sowie persönliche Grundorientierungen und auf die Umwelt bezogene Werthaltungen verstanden.“[4] Die genannten sowie weitere Emotionen spielen im Hinblick auf die Komplexität der Umwelteinstellung eine entscheidende Rolle.[5] Vor dem Hintergrund der Förderung des umweltbewussten Verhaltens stellt die Veränderung persönlicher Umwelteinstellungen (kombiniert mit umfassendem Wissen) eine nachhaltige Vorgehensweise dar.[6]
  • Umweltverhalten: „Mit Umweltverhalten wird das individuelle Verhalten in relevanten Alltagssituationen bezeichnet.“[7] Dieser Definition nach beschreibt der Begriff das tatsächliche umweltspezifische Verhalten eines Individuums. Bei Personen, die im Besitz eines hohen Umweltwissens sind, geht die Umwelteinstellung mit dem Umweltverhalten verstärkt Hand in Hand.[8]

Ein Zusammenspiel dieser drei Komponenten wird in der Literatur als Umweltbewusstsein verstanden.[9]

Emotionalisierung durch Ästhetisierung

Emotionen haben neben einer Wirkung auf die Umwelteinstellung einen direkten Einfluss auf das Umweltverhalten. Damit Veränderungen im Hinblick auf das Umweltverhalten erzielt werden können, müssen diese daher mitbedacht und adressiert werden. Emotionen können dabei eine Quelle für Motivation und Energie bei Veränderungsprozessen darstellen. Insbesondere die Anerkennung von (Verlust-)Ängsten kann dazu dienen, Barrieren zu überwinden.[10] Eine entscheidende Rolle spielen hierbei positive wie auch negative Emotionen. Während zu den positiven Emotionen beispielsweise Freude, Hoffnung, Interesse und Liebe gehören, können sich negative Emotionen durch Trauer, Wut und Angst ausdrücken.[11] Die Emotionalisierung durch Ästhetisierung erfolgt in „More than Honey“ vor allem durch eine musikalische Untermalung. Positive Emotionen werden zudem durch sogenannte „Tales of Joy“ (Geschichten der Freude) transportiert.[12] In „More than Honey“ vollzieht sich die Erzählung dieser Geschichten fast überwiegend zu Beginn der Dokumentation, als der Schweizer Bergimker von der Biene als Liebesbotin spricht (00:05:48–00:06:32). Unter anderem wird hierbei der natürliche Bestäubungsvorgang durch die Biene selbst visuell dargestellt und durch einen Off-Kommentar erläutert. Auch die Erzählung von der Biene als Ernährerin der Imkerfamilie und die Einblendung alter Fotographien stellte eine von mehreren „Tales of Joy“ dar (00:02:20–00:06:30). Diese und weitere einzelne Sequenzen zu Beginn des Films haben dabei einen stark dokumentarischen Charakter und leisten hierdurch einen potenziellen Beitrag zum Umweltwissen.

Abb. 1: Multimodale Sequenzanalyse (eigene Darstellung)

Im weiteren Verlauf setzt die Dokumentation jedoch weniger auf positive, als auf negative Emotionen. Exemplarisch hierfür ist die Sequenz von 00:59:20–01:01:02, die die zentrale Aussage des Films komprimiert darstellt. Eine Visualisierung dieser Sequenz findet sich in Abb. 1. Für die folgende Analyse liegt eine Transkription dieser Sequenz vor, die hier einsehbar ist. Die Sequenz besteht insgesamt aus zwei Teilsequenzen und vermittelt den Zuschauer*innen eine mögliche Konsequenz des im Verlauf der Dokumentation thematisierten menschlichen Verhaltens. Besonders in diesen zwei Teilsequenzen wird durch negative Emotionen Einfluss auf die Umwelteinstellung genommen und eine kritische Auseinandersetzung mit dem gegenwärtigen Umgang mit der Umwelt durch den Menschen provoziert.

Die erste Teilsequenz beginnt mit einem einleitenden Off-Kommentar und dem folgenden Zitat von Albert Einstein: „Wenn die Bienen aussterben, sterben vier Jahre später auch die Menschen aus“ (00:59:22–00:59:30). Die Ängste, die damit transportiert werden, erhalten durch Bild und Ton eine zusätzliche Schärfe. Die Einstellungsgrößen der Kamera wechseln innerhalb der ersten Teilsequenz von der totalen zur halbtotalen Einstellung. In der zweiten Teilsequenz liegt der Fokus durch Nah- bzw. Halbnahaufnahmen vollständig auf dem künstlichen Bestäubungsvorgang der chinesischen Wanderarbeiter*innen. Begleitet wird das ganze durch eine bedrohliche Musik. Die Kombination aus bedrohlicher Musik und den Nah- bzw. Halbnahaufnahmen erfolgt 39 Sekunden lang ohne einen meinungsbildenden Kommentar. Dies ändert sich erst gegen Ende der zweiten Teilsequenz. Dort wird die Absurdität des Bestäubungsvorgangs mit einer wissenschaftlichen Erkenntnis der Universität Peking untermauert (01:00:40–01:01:00). Der Regisseur stellt hierbei klar, dass die Biene eine bessere Bestäubung durchführt. In beiden Teilsequenzen sind durchgängig natürliche Geräusche zu hören. Dies trägt zur Verstärkung des dokumentarischen Charakters und zur Steigerung der Glaubwürdigkeit bei.

Im weiteren Verlauf wird inhaltlich dargestellt, dass in manchen Regionen in China keine Bienen mehr existieren und die Blüten demnach von Hand bestäubt werden müssen. Wie zur Verdeutlichung der Absurdität ihrer Tätigkeit, wird eine bestäubende Frau mit einem Lächeln gezeigt (01:00:42). Durch die visuelle Darstellung und das vermittelte Wissen über die aktuelle Situation in manchen Regionen in China werden Horrorszenarien transportiert, die die Einstellung zur Umwelt und somit das Umweltverhalten eines jeden Einzelnen ändern sollen. Dokumentarische Glaubwürdigkeit wird dabei durch minutiöse Verfolgung der Arbeiter*innen bei ihrer Bestäubung erzeugt. Dabei werden mit Hilfe von Nahaufnahmen die Arbeitsgänge nachvollziehbar veranschaulicht. Die musikalische Untermalung unterstreicht die Bedrohlichkeit sowie die Absurdität des Szenarios und beeinflusst die emotionale Grundstimmung. Die Musik leistet auf diese Weise einen Zugang zur visuell präsentierten Thematik, den ein durchgängiger Off-Kommentar nicht leisten könnte, da dieser leicht zu einer „Übererklärung“ des Bildes führen würde. Hintergrundgeräusch, wie die von Motoren, verstärken den Eindruck des industriellen Prozesses.

Während die erste Teilsequenz eine Kontextualisierung schafft, setzt die zweite Teilsequenz den Off-Kommentar der ersten Teilsequenz visuell um. Die gesamte Sequenz bildet eine Sinneinheit innerhalb des Films, indem die Folgen des Bienensterbens in einer üblicherweise mit Bienen assoziierten Situation (der Bestäubung) konkretisiert werden. Folgerichtig werden, obwohl von Bienen die Rede ist, keine Bienen gezeigt – es gibt sie nicht mehr. Die negativen Emotionen, die hierdurch geweckt werden, konzentrieren die Aufmerksamkeit der Rezipierenden auf das schädliche Umweltverhalten. Es wird durch diese Sequenz ein Wissen über absurdes menschliches Verhalten vermittelt, ohne dies explizit zu bewerten. Die Wertung über die gegenwärtige Situation wird den Zuschauenden überlassen. Der Film regt somit zur persönlichen Auseinandersetzung mit dem eigenen Umweltverhalten an.

Beitrag der Modalitäten zur Wissensmodellierung

Das Umweltverhalten in „More than Honey“ ist multimodal modelliert. In einigen Sequenzen (bspw. 00:16:53–00:20:06), in denen ein schädliches Umweltverhalten des Menschen dargestellt wird, ist ein abgestimmtes Zusammenspiel insbesondere zwischen On-Kommentar und Hintergrundgeräuschen erkennbar. Während in dieser Sequenz ein Massen-Imker mit Hang zum Pathos von den Vorzügen des Kapitalismus spricht und nebenher Plantagen mit Pflanzenschutzmitteln gespritzt werden, erfolgt eine musikalische Untermalung von Motorengeräuschen und bedrohlichen Klängen. Die verwendete Musik insgesamt sowie die Wechsel und Kontrastierung von Text-/Ton-Perspektiven (Off-Kommentare und On-Kommentare) deuten dabei auf eine gezielte Dramatisierung des Dargestellten hin. Die Beibehaltung des Originaltons im On-Kommentar steigert in diesem Kontext die Glaubwürdigkeit. Insbesondere haben die zahlreichen mit Off-Kommentaren orchestrierten Nahaufnahmen einen erkennbar dokumentarischen Charakter. Das heißt, dass sie wesentlich zur Wissensvermittlung beitragen (können).

Die Einbettung konkreter visueller Darstellungen des Umgangs mit Honigbienen ohne konkreten, einordnenden bzw. wertenden Kommentar schafft dennoch Bewusstsein für Abhängigkeiten des Menschen vom Tier bzw. des Tieres vom Menschen und den negativen Folgen, die daraus resultieren. Im völligen Gegensatz hierzu wird in einer Sequenz ein Bergimker, liegend in einem Feld, mit natürlichem Vogelgezwitscher dargestellt (00:20:07–00:21:00). Die veranschaulichte Bergidylle in Kombination mit der Beibehaltung des Originaltons im On-Kommentar weist an dieser Stelle des Films auf ein umweltfreundliches Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur hin. Die Gefühle, die dadurch ausgelöst werden können, tragen zur Erzeugung einer Wirkungskette vom vermittelten Umweltwissen zum Umweltbewusstsein bei.

Auffällig sind auch die häufigen Unstimmigkeiten in der Text-Bild-Relation des Films, die teils starke und wiederholende Divergenzen zwischen Bild und Ton beinhalten. Diese Unstimmigkeiten in der Text-Bild-Relation müssen jedoch nicht zwingend negativ verstanden werden. Wie in „More than Honey“ zum Beispiel bei der Darstellung der Lieferung von Pollen als Handelsware im urbanen Umfeld (00:59:28) deutlich wird, können die Unstimmigkeiten die einzelnen Modalitäten in ihrer Wirkung auch verstärken. In diesem Beispiel unterstützt die Aussagekraft des Off-Kommentars die zeitliche Retardierung des Bildes.

Resümee

Um dem mysteriösen Massensterben von Bienenvölkern auf der ganzen Welt nachzugehen, beginnt „More than Honey“ seine Dokumentationsreise bei einem traditionellen Bergimker. Fortgesetzt wird die Reise in den Vereinigten Staaten, wo ein Massen-Imker die Biene als Wirtschaftstier ohne Rücksicht auf Umwelt und Nachhaltigkeit dargestellt. Der Dokumentarfilm thematisiert zwar das Verschwinden der Honigbiene als relevante Tierart und greift damit das globale Artensterben und den Rückgang der Biodiversität auf, stellt hierbei aber keine direkten Bezüge zur Klimaerwärmung her. Es bleibt somit den Zuschauer*innen überlassen, den massiven Rückgang der Bienenpopulation mit Anforderungen in der modernen Landwirtschaft (z. B. ertragreiche Monokulturen) und ansteigende Durchschnittstemperaturen, die auch für die Honigbienen und ihre Futterpflanzen eine Verknappung von Wasser und Lebensraum zur Folge haben, in Verbindung zu setzen. Während andere Dokumentarfilme gesamtgesellschaftliche Probleme benennen und klare Handlungsempfehlungen vermitteln, wird in „More than Honey“ lediglich der Wunsch nach Veränderung filmisch transportiert. Der Dokumentarfilm leistet dabei einen Beitrag zur multimodalen Vermittlung von Umweltwissen und nimmt, insbesondere durch das Erzeugen von negativen Emotionen, Einfluss auf die Umwelteinstellung der Rezipierenden.

Belege

  1. Kuckartz, Udo. In: bpb.de. Online, zuletzt abgerufen am 22.12.2021.
  2. Haan, G. & Kuckartz, U. (1996): Umweltbewußtsein. Denken und Handeln in Umweltkrisen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 37.
  3. Anett Entzian (2015): Denn sie tun nicht, was sie wissen. Eine Studie zu ökologischem Bewusstsein und Handeln. München: oekom Verlag, S. 2.
  4. Kuckartz, Udo. In: bpb.de. Online, zuletzt abgerufen am 28.12.2021.
  5. Leuser, L. & Weiss, D. (2020): Veränderungen berühren alle – Die Rolle von Emotionen in Nachhaltigkeitstransformationen. In: umweltbundesamt.de. Online, zuletzt abgerufen am 28.12.2021.
  6. Bissinger, K. K. (2016): Eine Studie zu Schülervorstellungen, kognitivem Wissen, Umwelteinstellungen und umweltbewusstem Verhalten, S. 14. In: epub.uni-bayreuth.de. Online, zuletzt abgerufen am 28.12.2021.
  7. Kuckartz, Udo. In: bpb.de. Online, zuletzt abgerufen am 28.12.2021.
  8. Preisendörfer, P. (1999): Umwelteinstellungen und Umweltverhalten in Deutschland. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 176 f.
  9. Kuckartz, Udo. In: bpb.de. Online, zuletzt abgerufen am 28.12.2021.
  10. Leuser, Leon & Weiss, Daniel (2020): Veränderungen berühren alle - die Rolle von Emotionen in Nachhaltigkeitstransformationen. Dessau-Roßlau: Umweltbundesamt.
  11. Hamann, K., Baumann, A. & Löschinger, D. (2016): Psychologie im Umweltschutz. Handbuch zur Förderung nachhaltigen Handelns. München: oekom, S. 80.
  12. Hamann, K., Baumann, A. & Löschinger, D. (2016): Psychologie im Umweltschutz. Handbuch zur Förderung nachhaltigen Handelns. München: oekom, S. 82.