Dokumentarfilme über den Klimawandel: Unterschied zwischen den Versionen

Aus wiki.climate-thinking.de
Wechseln zu: Navigation, Suche
K (Einleitung ergänzt)
 
Zeile 45: Zeile 45:
 
**[[Die Verschleierung der Gewaltbeziehung zwischen Eisbär und Inuit im Dokumentarfilm]]
 
**[[Die Verschleierung der Gewaltbeziehung zwischen Eisbär und Inuit im Dokumentarfilm]]
 
*[[Emotionalisierung in aktuellen Dokumentarfilmen über den Klimawandel]]
 
*[[Emotionalisierung in aktuellen Dokumentarfilmen über den Klimawandel]]
 +
*[[Schaffung von Umweltbewusstsein mittels eines Dokumentarfilms]]
  
 
==Weitergehendes==
 
==Weitergehendes==

Aktuelle Version vom 8. Juli 2022, 08:44 Uhr

Dieser Artikel ist Teil einer Reihe. Er dient als Einführung in ein Schwerpunktthema, in dem Dokumentarfilme über den Klimawandel aus sprachwissenschaftlicher Perspektive diskutiert werden. Die Einzelbeiträge der Reihe finden Sie weiter unten.

Watercolor-Attenborough.png Dokumentarfilme zählen zu den populären Gattungen und Filmgenres, die sich mit Fragen des Klimawandels beschäftigen. Dies trifft insbesondere auf die Subgenres Natur- und Tierfilm zu. Dass solche Filme bereits in der Vergangenheit dazu beigetragen haben, Umwelt und Natur mit anderen Augen zu sehen, macht der Dokumentarfilmer David Attenborough in dem Eingangszitat deutlich.[1] Dies macht er an einem Beispiel fest: Als Dokumentarfilme Wale in ihren natürlichen Lebensraum auf Leinwand und TV-Bildschirm begleiteten, entdeckte das Publikum sie als schützenswerte Lebewesen neu und es kam zu einem Umdenken, was die industrielle Jagd dieser vom Aussterben bedrohten Tiere betraf. Aus diesem Einzelerfolg des Tierschutzes schöpft Attenborough die Hoffnung, dass gegenwärtige und zukünftige Dokumentarfilme einen vergleichbar positiven Effekt auf das menschliche Verhalten im Angesicht des Klimawandels haben werden.

Dokumentarfilme und ökologische Aufklärungsarbeit

Die Diskussion darum, inwiefern Dokumentarfilme und insbesondere Naturfilme ökologische Fragestellungen in den Blick nehmen und auch explizit darüber informieren sollen, ist nicht erst mit dem steigenden Bewusstsein für Fragen des Klimawandels aufgekommen. Dies soll exemplarisch an einem Debattenbeitrag gezeigt werden. Bereits 1996 fasst Angela Lüthje in einem programmatischen Text den Naturfilm auf als ein politisches „Genre, das [...] ein ungeheures Potential an Möglichkeiten für die Akzeptanz ökologischer Problemstellungen und die Schaffung ökologischen Bewusstseins birgt“.[2] Der große „Trumpf“ der Naturfilme besteht für die Autorin darin, dass diese Filme in ihrer Popularität einen „positiven Zugang zum Zuschauer“ haben.[3] Entsprechend argumentiert Lüthje dafür, den Naturfilm als ein Medium der dezidiert ökologischen Wissensvermittlung zu verstehen und die Potenziale dieses Genres im Dienste der ökologischen Aufklärungsarbeit besser zu nutzen. Dies erscheint ihr notwendig, weil das naive „Zeigen von Schönheit allein“ angesichts grassierender Umweltzerstörung stets im Verdacht stehen kann, „Tatbestände [...] in sträflicher Weise“ zu verharmlosen.[4] Lüthje zieht das programmatische Fazit:

„Kein Naturfilm kann heute mehr ohne Bezug zu den ökologischen Gegebenheiten auf unserem Planeten auskommen, wenn er Anspruch auf Wahrheit erheben will. Heile Natur ist nur mehr Schein. Tatsachen appellieren an die Verantwortlichkeit des Filmemachers, beim Zuschauer mit seinem Film eine wie auch geartete Betroffenheit zu bewirken, die sich bestenfalls in einer Änderung der Lebensgewohnheiten auswirken soll.“[5]

Dass es sich hierbei allerdings um einen „hehre[n] Anspruch“ handelt,[6] darauf verweist sie im Anschluss selbst und fordert daher eine weitergehende Diskussion. Gegenwärtig werden in vielen Dokumentarfilmen, die sich der Natur zuwenden, aus dem Themenkomplex Ökologie insbesondere Fragen thematisiert, die den Klimawandel und dessen Folgen betreffen. Dies erfolgt in unterschiedlichsten Formen und in unterschiedlich großem Umfang. Eine generelle Umsetzung von Lüthjes Forderungen ist allerdings nicht festzustellen.

Dokumentarfilme und dokumentarische Kommunikation

Aus sprachwissenschaftlicher Perspektive lassen sich Dokumentarfilme als kommunikative Gattung der Wissensgesellschaft verstehen, die neben der Unterhaltung das Ziel der Wissenskommunikation haben. Die Wissensmodellierung in Dokumentarfilmen und die Wissenskommunikation durch sie und mit ihnen erfolgt multimodal.

Kommunikate dokumentarischer Kommunikation wie z.B. Dokumentarfilme weisen innerhalb ihres pragmatisch-kommunikativen Rahmens zwei Strukturelemente auf, die als Show und Comment bezeichnet werden können.

  • Das Show bezeichnet, was innerhalb des durch den Rahmen Hervorgehobenen gezeigt oder ausgestellt wird. „Es bildet eine Art dem dokumentarischen Kommunikat inhärenten Zeigefeld, auf welches das Comment verweist.“[7] Beispiele hierfür sind in dokumentarischen Ausstellungen besondere gegenständliche Objekte, bei Dokumentarfilmen wiederum mediale Repräsentationen (Filmaufnahmen, Fotos etc.). Zur Veranschaulichung: In dem unten verlinkten Filmausschnitt sind die Aufnahmen der Eisbären in der für sie eigentlich unnatürlichen Umgebung das Show.
  • Das Comment, „das im Gegensatz zum Show notwendigerweise eine im weitesten Sinne sprachliche Handlung darstellt, ist innerhalb des dokumentarischen Rahmens dem Show zeitlich und/oder räumlich beigefügt. Dieses Comment zeigt auf das Show, orientiert und fokussiert dadurch die Wahrnehmung der Rezipierenden, erklärt, was das Show ist, und stellt es in einen (historischen) Kontext. Das Comment unterstützt somit die Wissensmodellierung und -kommunikation und erleichtert auch Personen, denen das notwendige Vorwissen über das Show fehlt, die Rezeption.“[8] Zur Veranschaulichung: In dem unten verlinkten Filmausschnitt bildet die erklärende Stimme aus dem Off das Comment.


Zur Veranschaulichung sei auf den Ausschnitt 01:19 bis 01:45 aus dem Dokumentarfilm „Eisbär in Not?“ (2014) verwiesen, der über diesen Link bei Youtube direkt angesteuert werden kann.

Dokumentarfilmen wird trotz aller filmischer Gemachtheit und Ausschnitthaftigkeit typischerweise ein „Wahrheitsanspruch“ zugeschrieben, der vor allem „auf einer referenzialisierbaren Darstellung der Wirklichkeit beruht“.[9] Aufgrund dieses Wahrheitsanspruchs unterscheiden sich Rezeption und Rezeptionshaltung von diesen dokumentarischen Kommunikaten deutlich von der Rezeption nicht-dokumentarischer Kommunikate, z.B. der von Romanen, Spielfilmen, Einladungskarten, SMS etc. Angenommen wird, dass die Rezipierenden, sofern und sobald sie ein dokumentarisches Kommunikat als solches erkennen, einen besonderen Wahrnehmungsvertrag schließen.[10] Das bedeutet nichts anderes, als dass Rezipierende typischerweise um den besonderen Wahrheitsanspruch dokumentarischer Kommunikation wissen sowie in der konkreten Rezeptionssituation erwarten und Vertrauen haben, dass diesem Wahrheitsanspruch auch entsprochen wird. Dieser Vertrag besteht so lange, wie dieses Vertrauen nicht missbraucht wird. Dies könnte zum Beispiel geschehen, wenn sich das Show nicht als authentisch, sondern als manipuliert oder Fälschung herausstellt, wenn das Comment faktisch falsch ist oder erscheint, oder wenn Show und Comment einfach nicht zueinander passen, also inkohärent sind.[11][12]

Analysebezogene Perspektiven auf Dokumentarfilme

Im vorliegenden Living Handbook liegt der Fokus bei der Analyse von Dokumentarfilmen auf der ‚Wissensmodellierung‘ und nicht auf der ‚Wissenskommunikation‘. Wissenskommunikation beschreibt eine komplexe kommunikative Handlung zwischen Sprecher*innen/Schreiber*innen und Zuhörer*innen/Leser*innen, die in einer Face-to-Face-Situation oder auch mittels eines Kommunikats stattfindet und durch Rezeption ein vorherrschendes Wissensgefälle verringert. Um dies überhaupt untersuchen zu können, bedarf es eines komplexen Versuchsaufbaus und Erhebungsdesigns, an dem alle beteiligten Akteur*innen und Kommunikate berücksichtigt werden müssen. Wird stattdessen die Modellierung von Wissen untersucht, gerät lediglich das Kommunikat, d.h. in diesem Fall ein oder mehrere Dokumentarfilme, in den Fokus der Analyse. Gefragt wird, auf welche Weise welches Wissen darin sprachlich und multimodal gestaltet, dargestellt, entfaltet, diskutiert, relativiert, begründet etc. (kurzum: modelliert) ist. Die Analyseergebnisse basieren dabei auf einer mehrmaligen, kleinteiligen und sehr genauen Rezeption der jeweiligen Filme oder Filmausschnitten. Sie arbeiten heraus, wie diese Filme gemacht sind und welches Wissen durch sie potenziell (und nicht tatsächlich) kommuniziert werden kann.

Beispiele für klimabezogene Dokumentarfilme

Einzelbeiträge der Reihe „Dokumentarfilme über den Klimawandel“

Weitergehendes

  • Bundeszentrale für politische Bildung (2020): Dossier "Umwelt im Dokumentarfilm". Online, zuletzt abgerufen am 17.03.2021.
  • Klein, Thomas (01.10.2015): Strategien und Ästhetiken der Darstellung nachhaltiger Entwicklung im neueren Dokumentarfilm. In: Open Book Nachhaltigkeitskommunikation. Online, zuletzt abgerufen am 17.03.2021.

Belege

  1. Fothergill, Alastair; Scholey, Keith; Butfield, Colin (2020): David Attenborough: A Life on Our Planet. UK: Netflix. 26:58.
  2. Lüthje, Angela (1996): Ökologische Aspekte des Naturfilms. In: Lesch, Walter (Hrsg.): Naturbilder. Ökologische Kommunikation zwischen Ästhetik und Moral, Basel: Birkhäuser, S. 279–285, hier: S. 280.
  3. Lüthje, Angela (1996): Ökologische Aspekte des Naturfilms. In: Lesch, Walter (Hrsg.): Naturbilder. Ökologische Kommunikation zwischen Ästhetik und Moral, Basel: Birkhäuser, S. 279–285, hier: S. 280.
  4. Lüthje, Angela (1996): Ökologische Aspekte des Naturfilms. In: Lesch, Walter (Hrsg.): Naturbilder. Ökologische Kommunikation zwischen Ästhetik und Moral, Basel: Birkhäuser, S. 279–285, hier: S. 283.
  5. Lüthje, Angela (1996): Ökologische Aspekte des Naturfilms. In: Lesch, Walter (Hrsg.): Naturbilder. Ökologische Kommunikation zwischen Ästhetik und Moral, Basel: Birkhäuser, S. 279–285, hier: S. 285.
  6. Lüthje, Angela (1996): Ökologische Aspekte des Naturfilms. In: Lesch, Walter (Hrsg.): Naturbilder. Ökologische Kommunikation zwischen Ästhetik und Moral, Basel: Birkhäuser, S. 279–285, hier: S. 285.
  7. Böhm, Felix (in Vorb.; 2021): „Lemme pause here for a second.“ Über das multimodale Spiel mit dem Dokumentarischen in The Deadly Tower of Monsters und The Beginner’s Guide. In: Bodden, Tamara; Madeheim, Marvin; Montag, Annegret (Hrsg.): Loading… Games Studies interdisziplinär, Paderborn: Fink.
  8. Böhm, Felix (in Vorb.; 2021): „Lemme pause here for a second.“ Über das multimodale Spiel mit dem Dokumentarischen in The Deadly Tower of Monsters und The Beginner’s Guide. In: Bodden, Tamara; Madeheim, Marvin; Montag, Annegret (Hrsg.): Loading… Games Studies interdisziplinär, Paderborn: Fink.
  9. Trautmann, Magali (2017): Show and Tell. Der narrative Kinodokumentarfilm von 1995–2015. Köln: Herbert von Halem, S. 30.
  10. Vgl. Trautmann, Magali (2017): Show and Tell. Der narrative Kinodokumentarfilm von 1995–2015. Köln: Herbert von Halem, S. 47–51.
  11. Vgl. Böhm, Felix (in Vorb.; 2021): "Lemme pause here for a second." Über das multimodale Spiel mit dem Dokumentarischen in The Deadly Tower of Monsters und The Beginner’s Guide. In: Bodden, Tamara; Madeheim, Marvin; Montag, Annegret (Hrsg.): Loading… Games Studies interdisziplinär, Paderborn: Fink.
  12. Vgl. Poremba, Cynthia Katherine (2011): Real/Unreal: Crafting Actuality in the Documentary Videogame (PhD thesis). Montreal: Concordia University, S. 34. Online, zuletzt abgerufen am 15.03.2021.



Autor*innen

Erstfassung: Felix Böhm am 23.03.2021. Den genauen Verlauf aller Bearbeitungsschritte können Sie der Versionsgeschichte des Artikels entnehmen; mögliche inhaltliche Diskussionen sind auf der Diskussionsseite einsehbar.

Zitiervorlage:
Böhm, Felix (2021): Dokumentarfilme über den Klimawandel. In: Böhm, Felix; Böhnert, Martin; Reszke, Paul (Hrsg.): Climate Thinking – Ein Living Handbook. Kassel: Universität Kassel. URL=https://wiki.climate-thinking.de/index.php?title=Dokumentarfilme über den Klimawandel, zuletzt abgerufen am 27.11.2024.